Die SPD und ihre Tradition des Parteiausschlusses

Die SPD will Thilo Sarrazin rauswerfen. Schon wieder. Das ist inzwischen dann jetzt der dritte Anlauf. Sinn der Aktion? Unklar. Aber es ist ja auch die SPD. Da verstehe ich auch sonst die meisten Entscheidungen nicht.

Natürlich stört man sich an diversen Äußerungen von Thilo Sarrazin. Der Mann eckt gerne an, seine Methode, Aufmerksamkeit zu erlangen ist vor allem Provokation. Ich muss zugeben, dass ich mich mit seinen Äußerungen, eben weil sie meistens einfach nur bewusst provokant sein wollen, auch nicht übermäßig beschäftigt habe. Ich kann nicht wirklich beurteilen, inwieweit er da den Boden der Gesetze verlassen haben könnte. Der Typ ist mir nicht sonderlich sympathisch und ich sehe nicht ein, ihm als Belohnung für seine Provokationen auch noch irgendwie Aufmerksamkeit zu schenken.

Aber letztendlich vertritt er, wenn auch vielleicht schriller als andere,  einfach nur seine Meinung. Die natürlich in der SPD sehr umstritten ist. Und auch außerhalb davon.

Um aus einer Partei geworfen werden zu können, muss ein Parteimitglied allerdings – das ist so im Parteiengesetz geregelt – nicht nur Dummheiten gemacht, sondern auch der Partei schweren Schaden zugefügt haben.

Wortwörtlich heißt es dazu im „PartG“‚:

Ein Mitglied kann nur dann aus der Partei ausgeschlossen werden, wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt.

Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz), § 10 Rechte der Mitglieder, Absatz 4, Hervorhebung von mir

Dieser Nachsatz mit dem „schweren Schaden“ ist bei so ziemlich allen im Sande verlaufenen Parteiausschlussverfahren der letzten Jahre immer der Knackpunkt gewesen.

Natürlich gibt es Fälle, in denen das festgestellt wurde. Wenn zum Beispiel Mitglieder von Partei A auf einmal ganz offen bei Wahlen für Partei B antreten, haben derartige Ausschlussverfahren in der Regel Erfolg. In solchen Fällen kann man allerdings ohnehin davon ausgehen, dass die Leute jawohl ohnehin nicht mehr Mitglied ihrer Partei bleiben und ihr tatsächlich maximal schaden wollten.

In anderen Fällen geschehen solche erfolgreichen Ausschlüsse auch einfach nur, weil die Leute ihre Beiträge nicht mehr zahlen wollen oder können. Das ist dann ein genau so eindeutiger Fall, wo man von einem „schweren Schaden“ sprechen kann. Insbesondere, weil der Ausschluss normalerweise wirklich erst nach Jahren der Nichtzahlung erfolgen kann, wir also über mehrere hundert Euro reden. Die stellen damit zumindest für einzelne Orts- und Kreisverbände tatsächlich einen schweren Schaden dar, denn an Landes- und Bundesverbände müssen die Parteien vor Ort auch für nicht zahlende Mitglieder Geld abführen.

Der tiefere Sinn dieses Nachsatzes vom „schweren Schaden“ ist aber ausdrücklich, dass damit verhindert werden soll, dass Leute allein aufgrund ihrer Meinung ausgeschlossen werden können.

Und das weiß auch die SPD. Jedenfalls sollte man davon ausgehen, denn alle bekannteren Parteiausschlussverfahren der letzten 10 Jahre, bei denen allein eine abweichende Meinung der Anlass für das Verfahren gewesen ist, sind nicht nur gescheitert, sondern haben eigentlich erst Recht zu einem Schaden für die Partei geführt.

Man kennt vielleicht noch den Namen Wolfgang Clement. War mal Bundeswirtschaftsminister. Fand aber auch nach seiner Zeit als Minister weiterhin Mindestlöhne doof, Kernkraftwerke toll und hält bis heute von der Partei „Die Linke“ ungefähr soviel wie ich, nämlich gar nichts. Und er warnte 2008 aufgrund seiner Meinung, die eben in sehr vielen zentralen Punkten von der Richtung der damaligen SPD abwich, davor, die SPD zu wählen.

Es ging damals um die Landtagswahl in Hessen und insbesondere störte sich Clement an der zwar nicht offen verfolgten aber eben auch nicht kategorisch ausgeschlossenen Zusammenarbeit zwischen SPD und Linkspartei. Die nach der Wahl übrigens tatsächlich von der damaligen SPD-Spitzenkandidatin plötzlich ganz offen angepeilt wurde.

Obwohl Clements Warnungen also vollkommen berechtigt gewesen sind, strengte die SPD daraufhin ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn aufgrund seiner Äußerungen an. Und damit seinen Ausschluss aus der Partei.

Die Schiedsgerichte der Partei sahen aber am Ende die erforderlichen Gründe für einen Ausschluss als nicht gegeben an. Man rügte ihn für seine Äußerungen, lehnte seinen Ausschluss jedoch ab. Clement trat kurz danach dann einfach selber aus, weil er dieses Theater offensichtlich nicht ganz so witzig fand und nicht mehr Mitglied einer Partei sein wollte, die ihn rügte und sogar ausschließen wollte, weil er ein Problem mit der Zusammenarbeit der ehemaligen Regierungspartei der DDR so drastisch ablehnte. 

Damit aber nicht genug, denn es folgten bei der SPD drei weitere Parteiausschlussverfahren im Gefolge jener Hessen-Wahl. Alles drei betraf neu gewählte Landtagsabgeordnete, die die geplante Wahl ihrer Spitzenkandidatin zur Ministerpräsidentin mit eben jener von Clement schon vor der Wahl befürchteten Unterstützung der Linkspartei nicht mitmachen wollten und offen erklärten, bei der Wahl dagegen stimmen zu wollen. Am Ende verhinderte das tatsächlich die Zusammenarbeit zwischen SPD und Die Linke an der Stelle – und auch Andrea Ypsilanti als Ministerpräsidentin. Ob der schwerere Schaden jetzt durch diese eher peinliche Nummer seitens der SPD oder wirklich durch die gegen die SED-Nachfolger revoltierenden SPD-Abgeordneten angerichtet worden ist, kann man sicherlich jeweils nach der eigenen politischen Vorliebe unterschiedlich beurteilen.

Aber Fakt ist: Auch diese drei Verfahren endeten nicht mit einem Ausschluss, auch wenn alle drei anschließend selbst aus der Partei austraten. Der durch die Abweichler zweifellos angerichtete Schaden war vom SPD-Schiedsgericht nicht als „schwer“ eingestuft worden.

Wer will, kann sich auf Wikipedia mal die Seite über „Parteiausschluss“ ansehen und wird, wenn er sich die Fälle aus der letzten Zeit ansieht, feststellen, dass die SPD da auffällig häufig vorkommt. Und auch ziemlich häufig mit gescheiterten Verfahren dort auftaucht. Sarrazin allein steht dort ja auch schon zwei Mal. Man kann sich die dahinter stehenden Fälle ansehen und stellt fest, dass es immer um abweichende Meinung ging und nie dieser unbedingt zusätzlich nötige schwere Schaden festgestellt werden konnte.

Eigentlich hat sogar gerade die SPD damit oft genug Eines bewiesen: Die falsche Meinung allein genügt nicht mal nach den Maßstäben der SPD-Schiedsgerichte, um Mitglieder auszuschließen. Selbst dann nicht, wenn Mitglieder offen davor warnen, die eigene Partei zu wählen.

Oder als Mitglieder eines Landtages ihr Recht am freien Mandat, wie es ja, vielleicht für die SPD etwas überraschend, nicht ganz umsonst so schön heißt, wahrnehmen und einfach ein bisschen anders abstimmen, als sich die Parteispitze das grade wünscht.

Es gibt allerdings verdammt gute Gründe dafür, dass es nicht so ganz einfach ist, derartige ideologische Säuberungen in Parteien durchzuführen. Die liegen natürlich in der deutschen Geschichte.

Aber man muss sich auch klar machen, dass es einen heftigen Eingriff in die demokratische Mitbestimmung einzelner Personen bedeutet, jemanden auszuschließen. In unserem Land sind Parteien nun mal der wesentliche gestaltende Akteur in der Politik. Man kann das mögen oder auch nicht, ich finde das oft genug selbst nicht optimal. Klar ist aber, dass politische Betätigung ohne eine Parteimitgliedschaft fast unmöglich ist.

Wenn man unter diesen Bedingungen also jemandem die Mitgliedschaft in einer Partei verwehrt, dann schließt man ihn effektiv davon aus, einen großen Teil seiner demokratischen Rechte wahrzunehmen. Es ist gut und richtig, dass das nur dann möglich ist, wenn es wirklich verdammt gut begründet ist. Das eine „falsche“ Meinung dazu nicht ausreicht, ist also kein Bug, sondern ein Feature. 

Dass Thilo Sarrazin der SPD „schweren Schaden“ zugefügt hätte, muss man letztendlich bezweifeln. Zwei gescheiterte Ausschlussverfahren stützen diese Zweifel bereits.

Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man ja fast vermuten, dass die SPD mit der Aktion einfach nur die Verkaufszahlen für Sarrazins Buch etwas ankurbeln möchte. Das wird nämlich höchstwahrscheinlich die einzige spürbare Auswirkung sein.

Also, neben einem weiteren Imageverlust für die SPD, die offensichtlich ein Problem mit Leuten hat, die einen eigenen Kopf haben, natürlich.