Corona-Tagebuch: Die Pandemie ist tot, es lebe die Pandemie?

Es ist seltsam. An sich ist die Pandemie beendet. Der nationale Notstand wird in nicht mal 3 Wochen beendet sein, es stirbt kaum jemand, trotz hoher Inzidenzen und Fallzahlen. Also, die Pandemie ist nicht in dem Sinn beendet, dass sie gar keine Rolle mehr spielen würde, hat aber ihre Bedrohlichkeit weitestgehend verloren.

Und doch flammen jetzt, gerade jetzt so Ideen auf, wie dann doch noch mal eine Impfpflicht einzuführen. Eine Impfpflicht. Ein Jahr lang wird sie bei jeder Gelegenheit geradezu vorauseilend systematisch ausgeschlossen – und zwar von so ziemlich jedem Politiker, jeder Regierung, parteiübergreifend. Geradeso, als hätte man nicht geahnt, dass wir in diesem Land eine ganze Reihe von Knalltüten haben, die eine nicht wirklich erklärliche panische Angst vor Impfungen haben. Als wäre das nicht eigentlich klar in einem Land, in dem selbst so Sachen wie Homöopathie von vielen für ganz normale Medizin gehalten werden.

Ja, wir sind möglicherweise nicht halb so fortschrittlich, wie man sich das in Regierungskreisen so vorstellt (auch wenn die ihrerseits in anderen Bereichen ja ähnlich rückständig sind… Faxgeräte werden im Bundestag glaube ich erst jetzt abgeschafft…). Aber über die Impfbereitschaft gab es ja die ganze Zeit Umfragen und die sahen jetzt auch nicht danach aus, dass die anvisierten 85% Geimpften realistisch sein könnten. Mir jedenfalls ist seit Ende letzten Jahres klar, dass das garantiert nicht passieren wird.

Ich habe keine Ahnung, ob eine Impfpflicht her muss. Aber wenn diese 85% Impfquote so sakrosankt sind, wie immer getan wird (auch das würde ich gerne etwas mehr hinterfragt sehen aber was solls), dann wusste man schon bevor die erste Spritze gesetzt wurde, dass das nichts wird – also wusste man es auch zu dem Zeitpunkt, zu dem man anfing, Impfpflichten auszuschließen. Vor dem Hintergrund kann ich nur mit dem Kopf schütteln, das jetzt, nach fast einem Jahr Ausschließerei, einfach mal so auf den Tisch zu packen.

Denn das bedeutet, dass die Politik sich ein weiteres Mal gehörig verzettelt hätte. Und wenn diese Impfpflicht wirklich käme, würde das auch bedeuten, dass hunderttausende Verschwörungsfans völlig zurecht sagen könnten guck, ham wa ja immer gesagt.

Beide Nebenwirkungen einer Impfpflicht gefallen mir überhaupt nicht und mindestens die letztere ist es wert, sich das echt gut zu überlegen.

Was man stattdessen machen könnte? Ich bin froh, dass ich das nicht entscheiden muss. Aber ich habe nach wie vor viel Sympathie für möglichst viel 2G. Und ich bin für möglichst zügiges und konsequentes Booster-Impfen. Als ich letzte Woche im Radio hörte, dass man jetzt dann erstmal diskutiert, ob ein Booster für Ü70 kommen soll, musste ich mich wirklich zusammenreißen, nicht laut zu fluchen. Der Rest der Welt boostert wie bekloppt, Israel, dessen Impfquote auch nicht besonders geil ist, wieder vornweg – und dort ist die aktuelle Welle genau durch dieses schnelle massenweise Impfen erfolgreich gebrochen worden.

Und wir diskutieren, ob wir die ganz alten Boostern wollen? Und dann vielleicht den Rest der Bevölkerung und das dauert dann auch wieder ein halbes Jahr, oder wie?

Auch in dieser Phase, die eigentlich die Schlussphase der Pandemie hätte sein sollen, kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, dass Land, Bund und Kommunen die Pandemie weiterhin eher verwalten als bekämpfen. Man macht halt sein Ding, streng nach Vorschrift. Echte strategische Ziele nennt keiner mehr. Daran könnte man ja womöglich noch einen Erfolg oder Misserfolg messen. Wenn man ständig versagt, kommt das nicht gut bei Wahlen.

Und dann darf man sich eben auch nicht wundern, wenn wir als Zivilbevölkerung damit umgehen, wie wir eben damit umgehen. Wenn der Staat schon nicht so genau weiß, was er machen soll, dann werden eben Coronaregeln bei diversen Veranstaltungen nach Gutdünken festgelegt. Was richtig oder falsch ist, weiß ja sowieso keiner mehr, es scheint allen staatlichen Stellen auch endgültig egal zu sein. Man macht, wie man meint. Man meint es an sich auch immer gut. Die Dorfveranstaltung am Wochenende setzte einfach mal auf 1G – was vermutlich in keinem einzigen Regierungspapier hier vorgesehen ist. Aber die haben einfach mal alle getestet und anschließend hat man zusammen gefeiert, als wäre nix. Pandemiebekämpfungstechnisch war das vermutlich vorbildlich, den Vorschriften hat das so wie ich die überblicke trotzdem nicht entsprochen, weil man sich mindestens hätte maskieren müssen.

Aber die Regelaufsteller scheren sich nicht um die Realität und so schert sich die Realität eben immer weniger um die rein theoretischen Regeln. Wo das so verantwortungsvoll geschieht, wie hier, ist das sicherlich nicht mal ein Problem. Aber ich lehne mich mal aus dem Fenster uns sage: Das ist wohl eher die Ausnahme und sehr, sehr oft wird man Regeln eher Regeln sein lassen und unter sich relativ schmerzfrei machen, was man will.

Die Inzidenz im Landkreis hat gerade mal die 100 überschritten. Das ist knapp unter dem Landesschnitt Niedersachsens (104), deutlich unter dem von Hamburg (133) und erheblich über dem von Schleswig-Holstein (75). Der Bundesdurchschnitt liegt allerdings bei über 300. Wie das sein kann? Na, weil so lustige Länder wie Sachsen schon wieder bei fast 500 stehen. Sachsen hat als einziges Bundesland eine Impfquote von immer noch unter 60(!) Prozent. Weißte Bescheid?