Corona-Tagebuch: Impfzentrum

Heute habe ich den vermutlich größten Beitrag zur Beendigung dieser Pandemie geleistet, den ein Normalo wie ich überhaupt leisten kann. Und das an einem Ort, den ich normalerweise zum mich besaufen oder andweitige Unterhaltungsveranstaltungen aufsuche.

Denn ich war heute in der Stadthalle Winsen und habe mir meine erste Dosis Impfstoff gegen Corona abgeholt.

Das war ein Erlebnis der ganz eigenen Art, nicht nur wegen des Ortes, mit dem ich an sich andere Dinge als Pandemiebekämpfung verbinde.

Ich war sehr rechtzeitig da und stand schon zehn Minuten vor meinem Termin draußen. Wurde dann von einem Helfer angesprochen, ob ich meine Terminbestätigung dabei hätte. Hatte ich. Zeigte ich ihm. Ja, dann bitte einmal in die rechte Reihe hier. Okay. Da hätte ich mich ohnehin angestellt, denn die war kürzer. Er misst noch kurz berührungslos meine Körpertemperatur und fragt, obs mir gut geht. Logisch gehts mir gut, sonst wäre ich ja nicht hier. Denke ich. Ich sage einfach nur „ja sicher“.

Die Schlange am Eingang sah aus, als würde man hier jetzt eine ganze Weile zubringen müssen aber es ging dann doch recht schnell. Denn die erste Station ist direkt im Vorraum hinter der Eingangstür und da tritt immer nur einer zur Zeit ein. Dort sitzt ein Herr, der meine Unterlagen zu sehen wünscht. Es ist unglaublich, wie viel Papierkram man mitbringen muss für einen albernen Pieks. Aber den will er jetzt schonmal überfliegen. Vermutlich wird man hier schon mal direkt wieder weggeschickt, wenn man irgendwas Relevantes (unbedingt nötig ist sowas wie ein Ausweis, aber auch einen Zettel, der einem die Impfberechtigung bescheinigt) nicht dabei hat.

Diesen ersten Test habe ich aber offenbar gemeistert, denn der Türsteher malt ein „B“ auf meine Terminbestätigung und ich werde mit den Worten „Hände desinfizieren und dann bei Biontech-Scheiße anstellen“ verabschiedet. Trocken, wie ich bin, bedanke ich mich herzlich und frage mich, ob da jetzt im Ernst ein Impfgegner beim Impfzentrums den Türsteher macht.

Am Desinfektionsposten treffe ich eine Bekannte, die offenbar ehrenamtlich hilft. Ich nehme noch weitere Bekannte wahr, die dort in unterschiedlichen Funktionen aushelfen. Aber diese teilt mir nach Sichtung meiner mitgebrachten Papiere mit, dass ich falsch gedruckt habe, weil meine Terminbestätigung gar keinen QR-Code hat. Ich verkneife mir, in eine Diskussion einzusteigen, warum zum Teufel man mir eine Terminbestätigung ohne QR-Code denn überhaupt schickt. Denn es ist wohl so, dass ich die E-Mail ausgedruckt habe, E-Mails aber per default ohne Bilder gedruckt werden und ein solches wäre der QR-Code. Natürlich hing der E-Mail ein PDF gleichen Inhaltes an, das ich mir auch angeguckt hatte. Natürlich ohne darauf zu achten, dass da ein Code drauf ist. In der E-Mail stand wörtlich, man solle dieses Schreiben ausdrucken.

Ist aber kein Problem, das Schreiben wird vor Ort für mich ausgedruckt. Blöd, denke ich, das kostet bestimmt ein paar Minuten sinnlos Zeit. Weit gefehlt.

Denn ich werde zum Biontech-Schalter geleitet, wo das Schreiben mit ordnungsgemäßem QR-Code bereits so gut wie parat liegt. Wenn ich selber mal einen QR-Code irgendwo rauf drucke, schreibe ich übrigens immer noch mal den Inhalt des Codes in normalen Zeichen dazu. Es geht hier um einen achtstelligen Code. Den hätte man ungefähr so schnell abtippen können, wie das Ausdrucken des blöden Zettels gedauert hat. Ist es nicht merkwürdig, dass die Bürokratie sich zwar energisch gegen jedwede Modernisierung wehrt, wenn sie aber einmal, wie hier in Form scanbarer Codes, nicht dass das etwas Ernsthaft supermodernes wäre aber egal, eingeführt ist, sklavisch und roboterhaft an ihr festgehalten wird, egal, ob es grade Unsinn ist?

Natürlich steht der Code auch hier dabei. Aber „wir brauchen den QR-Code!“ Aha, ja dann.

Etwas verdutzt stelle ich, während ich warte fest, dass die Schalter richtige Glaskästen sind, mit Sprechanlagen, die die Leute darin sich leicht krächzend anhören lässt. Was das wohl soll? Jaja, Infektionsschutz, schon klar. Aber die ganzen anderen Helfer hier tragen auch nur einen Mundschutz, ebenso die Ärzte und das übrige Facbpersonal. Was macht jetzt die Anmeldeleute so besonders? Der Türsteher hatte auch nur eine Maske auf. Egal

In meiner Naivität freue ich mich erst noch, dass nur zwei Leute vor mir in der Schlange sind. Das ich trotzdem 10 Minuten an diesem Anmelde-Schalter zubringe, kommt dann etwas unerwartet und so richtig verstehe ich es auch im Nachhinein nicht. Denn viel passiert da gar nicht. Man schenkt mir noch einen Kugelschreiber. Weil man es versäumt hat, in irgendeines der tausend anderen Papiere zu schreiben, dass ich sowas hier auch noch mal brauche. Ich besitze diverse Stifte, es wäre echt kein Ding gewesen, einen mitzubringen.

Mein mitgebrachter Papierkram wird nun von der Anmeldedame kurz geprüft und dann gewissenhaft gelocht. Ich würde heute mit Biontech geimpft und wir würden uns dann und dann hier wiedersehen, klärt sie mich auf. Nun kriege ich weitere drei Seiten Papier in die Hand, die ebenso gewissenhaft aneinander getackert werden. Auf denen steht, was für einen Impfstoff ich bekomme, wie er funktioniert, wer ihn lieber nicht nehmen sollte und das ich bitte hier unterschreiben muss, dass ich das alles gelesen habe. Ich nehme mir die Zeit, das wirklich zu lesen, zumindest zu überfliegen (denn den Absatz, der mir erklärt, dass Schwangere das besser nicht nehmen sollten, brauche ich mir im Detail jawohl nicht durchlesen).

Ich unterschreibe das Papier an einem Stehtisch unweit des Toilettenganges. An der gleichen Stelle habe ich zu anderen Zeiten dutzende Biere in mich reingeschüttet. Höchstwahrscheinlich am gleichen Stehtisch.

Mit dem unterschriebenem Papier gehe ich in die Stadthalle selbst, in den Wartebereich vor den Impfkabinen. Zur Rechten sehe ich Schilder, die auf eine „Fastlane“ hinweisen. Wer sowas wohl bekommt? Denke ich noch so, drei Minuten später höre ich eine Dame sagen hier, ich soll zur Fastlane. So kann ich mir angucken, was das genau bedeutet: Man kommt direkt zum Arztgespräch, bzw. hatte das eventuell schon vorher an einem anderen Ort und geht direkt durch zum Impfen. Warum und wieso ist für mich nicht erkennbar.

Im Wartebereich warte ich nur kurz, 5 Minuten vielleicht. Ein Mann, den ich vom Sehen her kenne und der laut seinem Pulli bei der Feuerwehr ist, wackelt an einer Tür rum, die anscheinend nicht richtig schließt. Er kriegt es hin. Kurz darauf geht die Tür auf und ich bemerke erst jetzt, dass das wohl der Besprechungsraum des Arztes ist, denn da darf ich jetzt rein, die Dame, die vor mir dran ist verlässt ihn nämlich gerade.

Ich darf Platznehmen, werde ein weiteres Mal (das ist jetzt nach vor der Tür und vor der Anmeldung das dritte) gefragt, ob es mir gut geht. Sicher doch, daran hat sich die letzte Viertelstunde nichts geändert – trotzdem das Atmen durch die Maske langsam unangenehm wird. Länger als 15 Minuten trage ich die nunmal selten.

Mit Biontech würde ich geimpft, meint er und ob ich Fragen zum Impfstoff hätte. Nö, ich hätte genug darüber gelesen, antworte ich und er erwidert lachend „jau, das kann ich mir denken.“ Er überfliegt meine Papiere, erwähnt kurz, dass er meine dort vermerkte Heuschnupfenallgerie bemerkt hat, sagt aber weiter nichts dazu. Was wohl bedeutet, dass das natürlich kein Problem ist.

Er steht auf und drückt mir meine Papiere wieder in die Hand. Ob ich sonst noch Fragen habe. Nö, sage ich und frage mich, was die Leute denn an dieser Stelle wohl großartig für Fragen haben könnten.

Er geleitet mich direkt vor die Kabinen. „Sie werden gleich abgeholt und dann geht es los.“ Super, danke. Ich gucke kurz auf die Uhr. 25 Minuten hat der ganze Bürokratiekram hier jetzt gedauert, den man meiner Meinung nach mit ein bisschen Technik problemlos auch nicht ausgerechnet hier vor Ort hätte abwickeln können.

Dann steht auch schon der Impf-Arzt vor mir. Die Kabinen haben keine Türen, es geht einfach um eine Ecke als Sichtschutz und dann steht dort eine weitere Ärztin, vielleicht auch nur eine Arzthelferin, die gutgelaunt zum erneuten Platznehmen auffordert, was ich gern mache. Ob es mir gut gehe, fragt sie. Hervorragend geht es mir, denn jetzt ist ja langsam mal ein Ende dieses sich für normale Menschen unglaublich kompliziert anfühlende Impferlebnis absehbar.

„Wir impfen Sie heute mit Biontech“ sagt sie. Ja, das hätte man mir mittlerweile heute drei mal erklärt und schon im Anmeldebogen stand etwas von mRNA, entgegne ich. Sie erklärt mir, das sie das sagen müsste, ich weiß, antworte ich verständnisvoll. Sie berichtet mir, dass es schon Kunden gegeben hätte, die beim Arzt nicht zugehört hätten und dann von Körperverletzung gesprochen hätten, hätte man ihnen beim Impfen nicht noch einmal mitgeteilt, was man ihnen nun injizieren würde. Ich verstehe das alles. Und habe Mitleid, dass sie sich mit so vielen dummen Menschen herumschlagen muss. „Sind sie Links- oder Rechtshänder?“ fragt sie. Ich bin Rechtshänder. „Alles klar, dann impfen wir links“ meint sie. Mir liegt der Spruch „Verstehe, weil falls mir dann doch der Arm abfällt, kann ich wenigstens noch schreiben?“ auf der Zunge und dank der Maske sieht sie ja nicht, dass ich wegen meinem eigenen Witz grinse, den ich mir aber dann doch verkneife auszusprechen. Es piekst, man erklärt mir, das ich mich jetzt noch eine Viertelstunde am Ausgang hinsetzen könnte, wenn ich wollte. Aber mir gehts nach wie vor Prima. Ich bekomme meinen um einen Aufkleber reicheren Impfpass zurück und werde mit dem erneuten Hinweis, wann mein nächster Impftermin sei, entlassen.

Ziemlich genau 30 Minuten hat die ganze Prozedur gedauert. Das sind 40 Millionen Arbeitsstunden bei 80 Millionen Bürgern. Ob sich jemals ein Prozessoptimierer das Prozedere angeguckt hat? Ich glaube, man könnte das Problemlos in 10 Minuten abhandeln. Vielleicht nicht mit jedem, sicher nicht mit vielen älteren Menschen. Aber die sind ja dann langsam mal alle durch und man könnte den Prozess doch genau jetzt auf Leute optimieren, die zum Beispiel ihren QR-Code selber einscannen können und das Arztgespräch alle irgendwie vorab online wunderbar effizient regeln könnten.

Abgesehen vom „Biontech-Scheiße“-Türsteher, der vielleicht einfach einen schlechten Tag hatte, wirkten alle im Impfzentrum höchst motiviert und um einen absolut reibungslosen Ablauf bemüht. An denen liegt es nicht, dass man leichte Vibes der berühmten Passierschein-A38-Szene aus Asterix (wirklich nur leichte – aber doch deutlich genug spürbar) spürt.

Man hatte ein halbes Jahr Zeit zur Vorbereitung der Impfkampagne und die läuft nun ja auch schon vier Monate, in denen man sie stetig hätte optimieren können, wo das möglich ist. Ich wette, dass sich darum aber einfach niemand kümmert. So wie sich auch über Monate keiner um die Corona-Warn-App gekümmert hat. Unser Staat denkt, dass wenn etwas einmal aufs Gleis gesetzt wird, es gut genug ist und nicht weiter angeguckt werden müsste. Dazu hat er auch gar keine Zeit, weil er viel zu sehr damit beschäftigt ist, irgendeinen neuen Heckmeck zu veranstalten.

Kein Wirtschaftsunternehmen könnte so arbeiten. Kein normaler Mensch möchte so arbeiten. Aber unser Bürokratismus kann nicht anders.

Die Impfung ist jetzt um die 90 Minuten her. Mir gehts gut, leichte Kopfweh habe ich. Laut Beipackzettel treten eventuelle Nebenwirkungen ab jetzt auf. Ich bin gespannt. Ich lasse mich eher selten impfen bisher (ich ändere das gerade) aber wenn, dann habe ich das an sich immer gut vertragen. Wenn ich es richtig verstanden habe, soll Biontech aber auch eher bei der zweiten Impfung so richtig reinhauen, wenn überhaupt. Mal gucken.

Die Zahlen im Landkreis entwickelten sich übers Wochende unspektakulär. Die Inzidenz ist immer noch relativ stabil und umkreist die 80. Am Samstag haben wir Infektionsfall Nummer 6000 gehabt. Die Zahl der Fälle liegt derzeit bei weit über 300 – und das jetzt auch schon fast eine Woche lang. Aber sie steigen zumindest nicht rasant.

Bundesweit liegt der R-Wert allerdings wieder leicht über 1 und bundesweit ist die Inzidenz bei 170. 3,3 Millionen Corona-Infektionen wurden seit Beginn der Pandemie im Bundesgebiet gezählt.

Es wird Zeit, dass die Impferei endlich richtig Fahrt aufnimmt. 82.000 Tote hat Corona in Deutschland bis jetzt gefordert. Die meisten davon seit Ende Dezember, also nach Beginn der Impfkampagne am 27. Dezember. Tausende, vermutlich zehntausende davon wären nicht nötig gewesen, hätte man sich mit dem Impfen nicht soviel Zeit gelassen. Das ist ein Versäumnis, das allein die Regierung zu verantworten hat. Wir Bürger vor Ort und die vielen ehrenamtlichen Helfer tun alles, um die Pandemie zu beenden und die Regierung leistet nicht mal den Pflichtteil – von der Kür ganz zu schweigen, denn es wäre ja schon viel gewonnen, wenn man es „nur“ so gut wie Großbritannien oder Amerika hinbekommen hätte, man muss es ja nicht fast perfekt wie in Israel machen.

Was freue ich mich auf die Bundestagswahl. Zu der ich bereits drei Monate vollen Impfschutz genossen haben werde – aber viele andere noch erkrankt oder gestorben sein werden. Weil Merkel nicht impfnationalistisch sein mochte und Leyen nach zum Fenster rausgeschmissenen Berater-Millionen als Verteidigungsministerin in Brüssel auf einmal die große Sparsamkeit für sich entdeckt hat.