Corona-Tagebuch: Sind wir am Wendepunkt?

Es kam etwas unerwartet aber gestern habe ich spontan meinen ersten Corona-Test gehabt. Anlass waren drei gleichzeitige Veranstaltungen des Kreisverbandes der FDP: Kreismitgliederversammlung, Kreisparteitag und Wahlkreismitgliederversammlung fanden parallel statt.

Hätte man normalerweise auch nicht so gemacht und war insgesamt auch eher so mittelgeil. Dass man sich für sowas in solchen Zeiten überhaupt an einem Ort in einem geschlossenen Raum treffen muss, ist misslich. Aber die Bundestagswahlen sollen ja nunmal stattfinden und dazu bedarf es per Gesetz gewisser Vorbereitungen.

Und weil wir in Deutschland völlig bescheuert sind, darf man verschiedene Dinge eben formal nicht auf der gleichen Veranstaltung machen. Gestern galt es, einen neuen Kreisvorstand zu wählen (was man vermutlich notfalls auch noch hätte verschieben können, andererseits wäre es auch nicht zielführend, mitten im Wahlkampf noch mal den Vorstand auszutauschen), Delegierte zum Landesparteitag und einen Bundestagskandidaten. Wir haben das Glück, dass unser Bundestagswahlkreis identisch mit den Landkreisgrenzen ist – was nicht überall so ist. Und irgendwo auch der Grund zur Notwendigkeit unterschiedlicher Veranstaltungen ist, denn zum Beispiel den Bundestagskandidaten dürfen eben nur Mitglieder wählen, die im entsprechenden Wahlkreise leben.

Im letzten Jahr fand am gleichen Ort bereits der letzte Kreisparteitag statt, auch da schon unter Coronabedingungen. Aber damals gab es keine Tests und die Vorschrift lautete: Maske tragen, wenn man sich im Raum bewegt und auch nur dann. Und wir saßen da zwar auf Abstand, hatten aber zumindest noch Tische (was diesmal wohl nicht ging, eventuell waren doch noch ein paar Leute mehr da und es passte einfach nicht anders).

Maskiert mussten wir nun auch die ganze Zeit sein, was ich an sich auch viel einleuchtender finde, auch wenn es nervt. Dass man beim Sprechen die Maske abnehmen konnte, bzw. sollte, fand ich nun wieder schwierig bis überflüssig, bei meiner Vorstellungsrede habe ich das auch erstmal ignoriert, aber nach Aufforderung dann doch die Maske abgenommen. Wohlwissend, dass das eigentlich völlig dämlich ist in einem Raum, in dem 30-40 Leute einige Stunden ausatmen. Andererseits waren die so ziemlich alle frisch getestet, so dass das Risiko sicherlich überschaubar war.

Dass mittendrin die aus guten Gründen offene Seitentür unbedingt geschlossen werden musste, weil offenbar Leute, die leicht frieren (und nicht unbedingt perfekt gekleidet waren) dachten, sich genau vor diese offene Tür setzen zu müssen, ließ mich auch kurz stirnrunzeln.

Ebenso der ältere Herr, der ständig seine Maske abnahm oder der andere ältere Herr, der stumpf die Nase frei ließ. Das waren so Dinge, von denen ich immer wieder mal von anderen gehört hatte, selber gesehen habe ich solche Fälle nie. Bis gestern.

Selbstredend konnte man auch nicht mal kurz was trinken. Es handelte sich aber auch um keine Gaststätte, denn die haben ja zu. Aber man hätte ja auch gar keinen Tisch gehabt, wo man das hätte abstellen können.

Die Gruppenfotografierei am Ende war auch wieder ein Fall für sich. Man will ja unbedingt ein Foto, auf dem man schön Abstand hält. Draußen. Auf dem Weg zu diesem Foto drängelt sich erstmal alles durch die gleiche schmale Tür, da ist nichts mit Abstand. Bei der Aufstellung ist man sich auch viel zu nahe. Und die Abstände waren pseudomäßig: Sie waren schon erkennbar da aber deutlich geringer als der eigentlich geforderte Meterfuffzich. Was auch scheißegal ist, weil wir vielleicht drei Minuten so standen und nicht ne halbe Stunde. Dabei wurde dann noch kurz diskutiert, ob man denn die Maske jetzt abnehmen sollte…. ehrlich gesagt hätte ich lieber auf dieses alberne aber offenbar obligatorische Gruppenfoto verzichtet, das Ergebnis wird eh nicht geil sein und wie sollte es denn auch. Foto der Vorsitzenden plus Foto vom Bundestagskandidaten hätte es echt getan. Natürlich wurde auch ein solches noch geschossen. Natürlich auch mit Maske.

Wie verkrampft man nach einem Jahr immer noch mit alldem umgeht, ist schon bemerkenswert. Bei einem Foto draußen hätte ich die Maske weggelassen aber auf das Foto einer ganzen Gruppe komplett verzichtet. Und ein Foto von zwei Personen ohne Maske wäre ja nun völlig problemlos gewesen. Und irgendwie zielführender.

Ich will das übrigens gar nicht als Gemecker verstanden wissen, sondern wirklich nur als Beobachtung des Parteialltags in Coronazeiten. Es zeigt einfach, dass wir alle eben immer noch nicht über solche Detailfragen nachdenken, sondern mehr oder weniger intuitiv handeln und dabei immer versuchen, einen halbwegs tragbaren Kompromiss aus Verantwortungsbewusstsein und praktischer Umsetzbarkeit zu finden. Und in größeren Gruppen gewinnt das ja wiederum ganz schnell noch seine ganz eigene Dynamik.

Dass zumindest die Wahlkreismitgliederversammlung bereits zweimal verschoben wurde, gehört auch zu diesen merkwürdigen Begebenheiten. Denn beide Male wäre das örtliche Infektionsgeschehen harmloser gewesen, als gestern, beide Male war aber das angeblich unverantwortlich hohe Infektionsrisiko Grund für die Verschiebung. Jetzt ging es langsam nicht mehr anders, weil gewisse Fristen einzuhalten sind. Rückblickend hätte man es einfach durchziehen sollen – am besten schon Ende Oktober, als der erste Termin gewesen wäre und die Inzidenzen unter 50 lagen. Ich hätte das auch einfach gemacht, ehrlich gesagt – aber wenn Mitglieder sich darüber beschweren und man es nun mal ja auch einfach nur gut meint und richtig machen will, verstehe ich auch, dass man sich auf eine Verschiebung einlässt. Nur war ja im Oktober (mir jedenfalls, man kann das hier auch nachlesen) irgendwo schon klar, dass die Situation bis auf Weiteres nicht besser, sondern schlechter werden würde, von der Verfügbarkeit von Tests und Impfungen mal abgesehen.

Es gab reichlich Geschenke. Das ist auch eher ungewöhnlich für eine Partei Veranstaltung. Aber abgesehen davon, dass wir diesen gratis Coronatest bekamen, gab es auch ein Goodiebag mit Kugelschreibern und Aufklebern, aber auch Desinfektionstüchern, einer Maske und einer winzigen Packung Tic-Tac-Bonbons.

Sinnbildlich für demokratisches Engagement in Coronazeiten.

Da auch meine eigene Ehrung als langjähriges Mitglied auf diese hoffentlich letzte Veranstaltung unter solchen Bedingungen fiel, bekam ich außerdem noch, neben der Theodor-Heuss-Medaille und einer Urkunde, Toilettenpapier und Nudeln geschenkt. Was ich, auch wenn das Phänomen des Hamsterkaufens zum Glück endgültig durch zu sein scheint, eine ganz wunderbare Idee finde, weil das garantiert etwas ist, an das ich mich auch in weiteren 20 Jahren noch erinnern werde.

Und beides für große zivilisatorische Errungenschaften halte.

Ebenfalls geehrt wurde übrigens der Mann, den wir am selben Abend zum Bundestagskandidaten gewählt haben und der damals gleichzeitig mit mir begonnen hat, sich für unsere Demokratie zu engagieren – nachdem wir gut zugedröhnt das Onlineformular zum Beitritt ausgefüllt hatten.

Was außerdem gestern passiert ist, ist das Bundesinfektionsschutzgesetz. Jetzt gelten also bundesweit einheitliche Regelungen. Das sei angeblich viel geiler und so. Ich glaube ja, es ist scheißegal, die Leute, die das regeln sitzen jetzt bloß noch weiter weg und haben noch weniger Plan von der Lage vor Ort – ob das deswegen wirklich besser wird, muss sich erstmal zeigen. Aber jedenfalls sehen die Regelungen wie folgt aus, sofern ein Landkreis die 100er-Inzidenz reißt:

  • Ausgangssperre: gilt von 22 bis 5 Uhr. Bis 24 Uhr darf man zumindest noch alleine spazierengehen.
  • Kontaktbeschränkungen: In der Öffentlichkeit oder privat darf man nur eine haushaltsfremde ÜPerson treffen.
  • Schule: Wechselunterricht, ab Inzidenz 165 nur noch Distanzunterricht. Zwei Tests pro Woche für Schüler und Lehrer, die am Präsenzunterricht teilnehmen wollen.
  • Kitas: Ab Inzidenz 165 verboten.
  • Sport: nur noch alleine, zu zweit oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes.
  • Arbeit: Homoffice-Pflicht.
  • Einzelhandel: Muss schließen, wenn es sich nicht um „täglichen Bedarf“ handelt. Unter Inzidenz 150 ist Terminshopping legal, wenn ein negativer Test vorliegt.
  • Beerdigungen: 30 Teilnehmer maximal
  • Freizeit: Alles außer Zoos und botanischen Gärten und möglicherweise dem Heide Park muss schließen, die Ausnahmen dürfen mit negativem Test besucht werden.
  • Friseure, körpernahe Dienstleistungen: Mit Maske und Test eventuell erlaubt, wenn es medizinisch, therapeutisch, pflegerisch oder seelsorgisch bedingt ist, ohnehin.
  • ÖPNV: bleibt erlaubt, selbst ohne Test. Es muss aber eine FFP2-Maske getragen werden, wenn man nicht Kontrolleur oder Fahrer ist.

Und dieser ganze Spaß kann mit Zustimmung des Bundestages noch durch weitergehende Verordnungen ergänzt werden, während die Bundesregierung ihrerseits Erleichterungen und Ausnahmen für Geimpfte oder Menschen mit negativem Test erlassen darf. Das Gesetz gilt so lange, wie der Bundestag die epidemische Lage von nationaler Tragweite bestehen lässt, maximal aber bis 30. Juni 2021.

Ich bin nicht sicher, ob sich dadurch jetzt im Ernst irgendwas verschärft, wenn man Niedersachse ist. Jedenfalls abgesehen von der Ausgangssperre, die bisher ab 100 vom Landkreis geprüft werden musste aber deswegen noch lange nicht umgesetzt wurde.

Dieser Punkt ist aber in der Tat der, der die meisten Menschen so richtig, richtig stört. Und der meiner Meinung nach – abgesehen davon, dass das keine Maßnahme ist, die irgendwas am Infektionsgeschehen ändert – auch zurecht in der Kritik steht, weil er einfach sehr, sehr extrem ist.

Es ist erstaunlich, wie viele Deutsche sich selbst dieser extremen Maßnahme bereitwillig beugen. Wirklich überzeugt ist vermutlich niemand davon, man nimmt es einfach stoisch hin. Das ist wirklich sehr deutsch. Bloß nie den Sinn hinterfragen, wenn die Regierung was befiehlt. Gruselig.

Ich hoffe, dass das Verfassungsgericht dem einen Riegel vorschiebt. In die Wege geleitet ist das alles. Und andere Gerichte haben Ausgangssperren bisher ja auch reihenweise wieder einkassiert, mangels Rechtfertigung.

Interessant ist die Befristung auf Ende Juni. Nachdem es diese Woche schon von Seiten der Landesregierung hieß, dass man bis Ende Juni 60% der Bürger geimpft haben wollen wird, ist das jetzt das zweite Mal, dass dieses Datum als zeitliche Zielmarke für einschneidende Änderungen fällt.

Nachdem ich jetzt ein Jahr lang nicht weiter als ein paar Tage in die Zukunft planen mochte, frage ich mich jetzt ernsthaft seit langem mal wieder, ob es sinnvoll wäre, schonmal für den 2. oder 3. Juli eine Post-Corona-Party einzuplanen. Da wird es zwar nicht vorbei sein aber für ne Party wird es vermutlich reichen. Zumindest für Geimpfte und auch hier zeigt die Erfahrung aus anderen Ländern, dass 60% Geimpfte praktisch bedeutet, dass so ziemlich jeder, der wirklich wollte und sich darum bemüht hat, eine Impfung bekommen haben wird.

Es kann also sein, dass diese 16. Kalenderwoche des Jahres 2021 den ultimativen Wendepunkt der Pandemie markiert, ab dem es wirklich Stück für Stück besser wird und endlich Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist.

Oder nächste Woche kommt noch die Nordkoreavariante und wir haben noch ein paar Jahre länger Spaß mit Corona… naja.

Die Inzidenz im Landkreis sank noch etwas weiter, die Zahl der Infektionen ebenfalls. Beides wirklich nur leicht aber eine Inzidenz von unter 80 ist in diesen Tagen, in denen andere Landkreise der Republik über 400 melden, auch nur begrenzt besorgniserregend, zumal, wenn sie sich eben nicht erhöht.