Corona-Tagebuch: Interessante Zeiten

Seit heute ist alles geschlossen, was nicht unbedingt geöffnet haben muss, um eine Gesellschaft nicht in die Luft zu sprengen. Das sind im Wesentlichen Einrichtungen für den täglichen Bedarf, vor allem Lebensmittelgeschäfte. Letztere haben jetzt selbst in Bayern regulär sonntags geöffnet.

Corona stellt alles auf den Kopf und derzeit bringt wirklich jeder Tag neue interessante Erfahrungen. Dabei ist die gesundheitliche Situation zumindest in Deutschland im Augenblick sogar noch relativ beherrschbar. Aber die Kurve der Infizierten steigt exponentiell an – obwohl das öffentliche Leben weitgehend lahmgelegt ist. Es ist der 17. März um 9.50 Uhr morgens und wir haben bundesweit 7272 Infizierte. Gestern stand da noch ne 5 vorne.

Interessant ist, wie die Leute darauf reagieren. Nach wie vor laufen Leute rum und finden das alles total übertrieben, schließlich sei Corona ja nur eine Grippe. Da es ja so eine Art Volkssport ist, eine echte Grippe mit einer etwas schweren Erkältung zu verwechseln, muss man das normalerweise als seltsame Verharmlosung interpretieren.

Das Gebot der Stunde ist, soziale Kontakte zu vermeiden. „#flattenthecurve“ ist seit ungefähr einer Woche ein Hashtag, den man überall sieht.

Gleichzeitig versucht man, besonders gefährdete Menschen zu schützen. Alten- und Pflegeheime sowie Krankenhäuser lassen keine Besucher mehr rein. Allgemein möchte man „Infektionsketten unterbrechen“. Und es stellt sich der Verdacht ein, dass das offenbar aktuell alles ist, was man wirklich tun kann.

Naja, das und Panikpotenziale senken. Aber das ist leicht gesagt als getan, wenn, wie gestern Abend, Bundesregierung und alle Landesregierung fast gleichzeitig vor die Presse treten und mehr oder weniger verkünden, dass alles außer Aldi an Geschäften jetzt mal dicht ist und selbst Vereinsaktivitäten jeglicher Art verboten sind.

Deutschland, eigentlich ganz Europa und große Teile der Welt, befinden sich im Ausnahmezustand. Bis vor ein paar Tagen haben wir noch ganz ähnliche Meldungen aus Asien gelesen und gedacht, heftig, hoffentlich bringt das auch bei uns die Wirtschaft nicht allzusehr durcheinander. Und jetzt haben wir ganz ähnliche Verhältnisse…

…die, auch wenn die Opferzahlen jedenfalls in Deutschland heute noch alles andere als ernsthaft besorgniserregend sind, vermutlich auch völlig richtig sind. Es wird eben alles getan, um eine Ausbreitung zu verlangsamen. Wer kann, arbeitet von zuhause aus. Freizeitaktivitäten sind aber weitgehend eingestellt. Spazierengehen kann man noch und Computerspiele werden wohl auch nie ein Problem werden.

Längst gibt es Meldungen von der drohenden Überlastung des Internets, denn in Sachen digitialer Infrastruktur war Deutschland ja nie gut und auf eine gleichzeitige relativ intensive Nutzung durch praktisch alle Bundesbürger ist das Netz hier einfach nicht ausgelegt. Ist ja alles Neuland und so.

Wobei man sagen muss, dass auch Leute, die sich eigentlich auskennen sollten, auf die Schnauze fallen: Microsoft hatte sein „Teams“ (ein Slack-Klon) gratis zur Verfügung gestellt, vor allem für Bildungseinrichtungen. Und das führte mehr oder weniger umgehend zum Zusammenbruch des Dienstes…

Wie gesagt: Jeder Tag bringt neue interessante Erfahrungen. Auf die meisten hätte man verzichten können aber interessant sind sie ja dennoch.

Die panikgetriebenen Hamsterkäufer, die bereits seit letzter und vorletzter Woche für Furore sorgten, sind immer noch meine Lieblingsidioten. Nichts gegen eine sinnvolle Bevorratung und ja, auch im Hause Filter liegen aktuell ein paar Kilo Nudeln mehr rum, als sonst. Aber ein paar Kilo sind keine Tonnen und Nudeln kein Toilettenpapier. Da hat man wirklich mal eine Massenhysterie in Aktion gesehen, denn der einzige Grund, aus dem Leute sich wie die blöden Klopapier gekauft haben dürften, ist doch der, dass „alle“ anderen es auch getan haben. Rational gesehen kommt man mit einer Packung mehrere Monate klar und auch, wenn man mit ein paar Leuten mehr diese Packung verbraucht, sollten es mindestens Wochen sein. Vor allem aber ist ja nun gerade Toilettenpapier nichts ernsthaft Lebensnotwendiges. Es ist zwar keine sonderlich schöne Vorstellung, sich notfalls mit wie auch immer gearteten Alternativen behelfen zu müssen aber lebensbedrohlich ist das ja nun trotzdem nicht.

Gleichzeitig kann man neben den interessanten Beobachtungen auch etwas über sich selbst lernen. Und zwar, wie man mit solchen Situationen umgeht. Mich erschreckt es etwas, das ich der ganzen Krise bisher vor allem schulterzuckend gegenüberstehe. Ich nehme sie ernst, ich denke auch viel über die nächste Zeit und ihre Entwicklungen nach, ich verfolge das alles sehr genau. Aber ich mache es mit einer gewissen Sorglosigkeit, von der ich mir nicht sicher bin, ob sie wirklich gut ist.

Naja aber vielleicht ist das auch einfach nur mein Unvermögen, mich von derartigen Massenhysterien anstecken zu lassen? Denn gleichzeitig finde ich ja all die Aktivitäten, die Bund und Land so an den Tag legen und die sehr weitgehend sind, grundsätzlich nachvollziehbar und, zumindest, soweit ich es beurteilen kann, auch vernünftig. Ich weigere mich lediglich, panisch durchzudrehen.

Soeben wurde es 10 Uhr und die interaktive Coronakarte, die stündlich aktualisiert wird, hat neue Zahlen ausgespuckt: Wir sind jetzt bei 7588 Infizierten in Deutschland. Es sind also in der letzten Stunde 300 hinzugekommen. Das sind wohlgemerkt nur die Fälle, die man festgestellt hat. Die reale Zahl dürfte deutlich höher sein, denn die meisten Infizierten zeigen normalerweise nicht mal Symptome, geschweigedenn, dass sie krank werden.

Auch eine Beobachtung: Selbst meine Eltern haben jetzt mal gefragt, was eigentlich Podcast ist. 2020 wird aller Voraussicht nach auch das Jahr werden, in dem dieses Medium in jeder Altersgruppe ankommt, denn nicht nur, dass Corona-Podcast des NDR praktisch von wirklich jedem anderen Podcast – bis hin zum besten Star-Trek-Podcast überhaupt – empfohlen wird, sondern natürlich wird der auch ständig im normalen Radio gefeatured. Da muss man wirklich sagen, dass der NDR einen beeindruckend guten Riecher hatte. Denn den Podcast gibt es schon seit 26. Februar und ich weiß noch recht gut, dass ich den kurz danach auch das erste Mal irgendwo gesehen habe – und nicht verstanden habe, warum man sich das täglich geben sollte. „Damals“ waren Maßnahmen wie die, die seit heute morgen auch bei uns und bundesweit greifen, noch weit entfernt wirkende Meldungen aus anderen Ländern. Seit vergangener Woche Donnerstag höre ich den nun aber auch – und zwar täglich. Und auch die alten Folgen habe ich mir alle reingezogen. Vermutlich ist das jetzt schon der erfolgreichste Podcast aller Zeiten.