Corona-Tagebuch: Zeitlupenwelle und Coronastümper

Seit vergangenem Freitag habe ich keinen Blick mehr auf die aktuellen Infektionszahlen im Landkreis geworfen. Als ich es gerade tat, stellte sich sofort so ein „Ooopsie“-Moment ein.

Vergangenen Freitag hatten wir nämlich 36 aktuelle Coronafälle, gestern waren es knapp 80. Die Zahlen haben sich übers Wochenende mal eben verdoppelt, beziehungsweise eigentlich sogar schon von Freitag auf Samstag.

Die Langzeit-Betrachtung sieht zwar immer noch nicht sonderlich bedrohlich aus. Aber die Kurve hat eine zwar langsame aber stetige Bewegung in nur eine Richtung. Und diese aktuellen Fallzahlen sind nunmal inzwischen wieder auf einer Höhe, die wir zuletzt wiederum im Mai gesehen haben, als die erste Welle abklang.

Urlaubsreisende dürften das keine sein. Von Masseninfektionen in Schulen hört man auch nichts (und dann wären 80 Fälle ja auch nicht viel). Aber woher kommt dann dieser sich verstetigende Trend – außer, von der immer größer werdenden Zahl von Tests, die nach wie vor einen Teil der Entwicklung erklären wird?

Es wirkt ein bisschen, als hätten wir eine 2. Welle in Form einer Zeitlupenwelle. Das Problem daran ist, dass es ja nunmal so ist, dass ab einem gewissen Punkt einer exponentiellen Entwicklung diese unbeherrschbar wird. Sind wir auf dem Weg dahin? Oder nicht? Man weiß es nicht.

Unsere Regierung hat da offenbar so ihre eigenen Thesen. Vielleicht ist da sogar was dran.

Bild könnte enthalten: 1 Person, Text „„Man hört viel von Scheunenpartys da wäre es mir lieber, wenn so etwas in einer konzessionierten Gaststätte stattfände, wo der Wirt auch ein hohes Interesse daran hat, dass die Standards eingehalten werden." Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zu Feiern im privaten Bereich NDR1 Niedersachsen Hallo NIEDERSACHSEN“

Aber genau deswegen machen die Leute sowas ja lieber privat.Vielleicht sollte die Politik mal aufhören, die Realität zu ignorieren. Vielleicht sollte sie endlich anfangen, die Bürger als Partner im Kampf gegen die Pandemie zu betrachten und nicht ständig nur als Gegner, den man überwachen, bestrafen und drangsalieren muss.

Dass die Leute sich nach einem Frühjahr ohne soziale Kontakte und einem Sommer, in dem das auch nur sehr widerwillig geduldet war, mit jeder Woche mehr nach sozialer Interaktion sehnen, kann eigentlich nur elfenbeinturmbewohnende Bürokraten überraschen.

Jedem Anderen war schon im Frühjahr klar, dass sich die Leute nicht das ganze Jahr lang isolieren lassen würden und wer mal fünf Minuten über diese ganzen Pandemieregeln nachgedacht hat, dem war auch im März schon klar, dass sie sich nie, niemals überwachen lassen, wenn die Bürger einfach keinen Bock mehr haben.

Genau deswegen hätte man wesentlich transparenter und offener agieren müssen. Genau deswegen hätte man jede noch so vermeintlich kleine Einschränkung in unserem Leben nachvollziehbar erklären müssen, statt sie einfach nur zu befehlen.

Aber man hat sich lieber eingeredet, dass man ja das Sagen habe und deswegen machen könnte, was man will.

Willkommen in der Realität.

Auf die versucht man gewohnt hilflos zu reagieren. Gestern war wieder mal turnusmäßig Coronagipfel im Kanzleramt und die – jedenfalls aus Sicht des NDR – relevanten Ergebnisse sehen wohl so aus:

Auf einer blauen Grafik mit Corona-Viren haben wir geschrieben:
Corona: Neue Maßnahmen 

- In stark von Corona betroffenen Regionen: Feiern in privaten Räumen mit max.  25 Teilnehmenden, in öffentlichen Räumen max. 50 Personen *

- Gästelisten: 50 Euro Bußgeld bei falschen Angaben in Restaurants und anderen Gastwirtschaften

- Es gelten weiterhin die Abstands- und Hygienevorgaben

*Dies gilt, wenn in einem Landkreis innerhalb von sieben Tagen mehr als 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner auftreten.

Daran ist Verschiedenes interessant. Ich wäre kürzlich zu einem 85. Geburtstag eingeladen, zu dem, wenn ich es richtig verstanden habe, um die 50 Personen eingeladen gewesen wären, was dann von den örtlichen Behörden kurzfristig abgesagt worden ist, mit dem Hinweis, dass in der Umgebung die Infektionszahlen grade zu hoch für so etwas gewesen seien.

Sprich: Punkt 1 ist gar nichts Neues und wieder mal ein überflüssiger Beschluss, weil die Behörden das ohnehin so gehandhabt haben und offenbar auch so handhaben durften.

Das Sternchen ist noch etwas interessanter, denn dahinter verbirgt sich theoretisch eine Verschärfung. Bisher galt diese „7 Tage / 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner“-Regelung. Jetzt reichen 35 aus, um irgendwas zu verschärfen.

Das ist eigentlich sehr Erklärungsbedürftig. Zum Einen, weil die bisherige 50er-Regelung so gut wie nie angewendet worden ist, jedenfalls nicht wirklich offen. Zum Anderen müsste man doch wohl mal erläutern, wie man zu so einer drastischen Verschärfung der Bedingung kommt.

Aber man erläutert nichts. Man beschließt und befiehlt und alle haben es zu akzeptieren.

Der andere Punkt (der dritte ist ja nun wirklich egal, weil dermaßen selbstverständlich) macht mich aber erst richtig sauer. Weil er so dumm ist.

Dumm aus zwei Gründen:

  • Wie will man jemandem ein Bußgeld aufbrummen, der falsche Kontaktdaten hinterlässt?
  • Die einzigen, die solche Bußgelder zahlen werden, sind Leute, die korrekte Daten hinterlassen, aber zum Beispiel einen Zahlendreher in ihrer Telefonnummer haben oder unleserlich schreiben.

Wieder mal fühle ich mich durch die nicht nachvollziehbaren Regelungen der Landesregierung für dumm verkauft, nicht ernst genommen und sinnlos unter einen seltsamen und falschen Druck gesetzt.

Wenn jemand wie ich, der grundsätzlich einsieht, dass eine Pandemie außergewöhnliche Maßnahmen erfordern darf, das so empfindet. Ist es da ein Wunder, wenn die Covidioten überall so abgehen – und immer noch Zulauf erhalten?

So eine Pandemie ist eigentlich schon scheiße genug. Aber die Coronastümper in den Hauptstädten der Republik haben wirklich ein Talent dafür, das Ganze noch schlimmer zu machen.