Corona-Tagebuch: Von 2 auf 50 Haushalte

Kaum etwas hat mich im vergangenen Jahr bei allem sonstigen Regierungsversagen mehr geärgert, als das viel zu späte Aufweichen der Kontaktverbote im privaten Bereich. Diesen Fehler hat die Regierung dieses Jahr jetzt schon wiederholt. Und durch die Blume gibt sie das auch zu, wenn die neuen Regelungen so kommen, wie sie kommen.

Denn es gibt verdammt noch mal keinen Grund, warum Inzidenzen unter 10 in zwei Wochen weniger gefährlich sein sollten, als vor zwei Wochen. Die aktuellen Regeln gelten aber partout weiter bis 24. Juni, auch wenn ihre Korrektur spätestens Anfang Juni geboten gewesen wäre.

Jedenfalls auf den Landkreis bezogen, denn wir haben hier seit Ende Mai nunmal weniger als 10. Wir sind da aber auch bei weitem nicht die einzigen, sondern seit dem Zeitpunkt sieht es überall in Niedersachsen gut und immer besser aus.

Seit dem 18. Mai ist die Inzidenz unter 35 gewesen. Die Pläne gehen jetzt in eine Richtung, bei Inzidenzen unter 35 auf einmal Treffen von bis zu 10 Haushalten zu erlauben. Sechs Wochen, nachdem dieser Wert hier und auch anderswo erreicht wurde. Was soll das?

Und im Freien sollen demnächst Treffen von bis zu 50 Personen möglich werden, zuzüglich Geimpfte, Getestete und Kinder unter 14.

Für mich stellt es sich so dar, als hätte man versäumt, beizeiten vernünftige Regelungen zu erlassen. Anders kann ich mir so krasse Schritte von fast nichts darfste hin zu fast alles darfste, nicht erklären.

Und so ähnlich lief es im vergangenen Jahr auch bereits. Ich finde das absolut ärgerlich, auch wenn es mich sowieso nicht mehr betrifft, weil ich geimpft bin und mir diese Regelungen im Großen und Ganzen ab Montag den Buckel runterrutschen können. Aber natürlich offenbart dieses Regierungsversagen wieder einmal, wie scheißegal den Leuten in Hannover ist, wie es uns mit dem geht, was sie da anrichten.

Ein weiteres Regierungsversagen hat mich die Tage auch geärgert. Nämlich, dass sie natürlich den digitalen Impfpass versauen. Seit gestern kann man sich den in Niedersachsen theoretisch holen. Praktisch kriegen die Impfzentren es bis auf Weiteres nicht hin, das ist irgendwann für die Zukunft geplant aber da ist wie üblich die Landesregierung der Flaschenhals. Apotheken sollen es können, auch das ist wohl aber Theorie, weil bei dem Versuch, dem ersten Run standzuhalten erstmal alle Server zusammengebrochen sind (als wären das riesige Datenmengen, als hätte nicht jeder dödelige und wirklich nicht teure Amazon-Server das problemlos hingekriegt) und außerdem sind wohl auch immer noch nicht alle Apotheken freigeschaltet, die es hätten sein sollen, warum auch immer.

Überrascht natürlich nicht. Wenn es digital wird, verkackt Deutschland es nunmal jedes einzelne Mal, egal, worum es geht.

Bei der Impfpassgeschichte ist das besonders schwer zu verstehen, denn sorry aber im Prinzip soll die Apotheke nach Vorlage des Papier-Impfpasses auf irgendeine hoffentlich vernünftig gesicherte Datenbank zugreifen und einen QR-Code erzeugen, in dem die Daten des Geimpften gespeichert sind. Den scannt man dann mittels welcher App auch immer (bisher sind mir drei begegnet, die das können sollen: das unsägliche Luca, die originale CovPass vom RKI und die normale Corona-Warn-App, die CovPass quasi eingebaut bekommen hat) und hat darüber die Daten dann auf dem Handy lokal gespeichert.

Klingt von der Umsetzung her wirklich nicht nach Raketenwissenschaft. Wäre es garantiert auch nicht gewesen, wenn man irgendeine drittklassige Softwarebude damit beauftragt und sich als Staat ansonsten einfach rausgehalten hätte.

Was aber ja nicht geht, weil die Impfzentren staatlich sind und irgendwoher die Info kommen muss, inwiefern jemand geimpft ist.

Dass man sowas brauchen könnte, ist aber ja auch nicht erst seit Montag klar, sondern man hätte eigentlich spätestens im letzten Dezember anfangen müssen, sich zu überlegen, wie man das bewerkstelligt. Da ging das Impfen ja los. Man hat offenbar nichts dergleichen getan. Es musste unbedingt gewartet werden, bis ein EU-weit standardisiertes Format gefunden worden ist. Klar, auch das hätte man schon im letzten Sommer in Ruhe machen können. Man hätte auch trotzdem erstmal die Grundlagen zur Digitalisierung schaffen können (zum Beispiel Geimpften entsprechende Zertifikate mitgeben, mit denen man später diesen Schritt in die App machen kann, ohne für so einen Blödsinn massenhaft die Apotheken stürmen zu müssen) und man hätte sogar die App schon viel eher da haben können, damit es erst gar keinen Run gibt, weil einfach nach und nach jeder Geimpfte sich den digitalen Impfpass holt, vielleicht sogar direkt am Impfzentrum vom Apotheke direkt am Ausgang, der da flohmarktmäßig einfach einen Stand hätte haben könenn oder so.

Und wenn man dann ein halbes Jahr später endlich dieses tolle einheitliche EU-Format (ja, ich verstehe, dass das sinnvoll und nötig ist!) gefunden hat, kriegt die App ein Update und liefert fortan den EU-Impfpass und gut ist.

An so vielen Stellen hätte man das alles schon wieder besser machen können. Aber auch hier ist mein Eindruck wieder mal, dass Dinge, die den Bürgern bei dieser Pandemie das Leben ein bisschen erleichtern könnten, überhaupt keine Priorität genießen für diese Regierung.

Und deswegen kann ich eine gewisse Schadenfreude auch nicht verbergen, wenn ich lese, dass das OVG Lüneburg letzte Woche beschlossen hat, dass das Prostitutionsverbot aufgehoben werden muss und die Regierung sich nun genötigt sieht, Prostitution als „körpernahe Dienstleistung“ einzustufen. Auch wenn ich mich frage, welche Dienstleistung denn noch körpernäher sein könnte, dass man das jemals anders sehen mochte.

Aber bei Inzidenzen, bei denen in vielen Gemeinden gar keine Infektionen mehr gemessen werden und selbst in größeren wie der meinen vielleicht mal ein oder zwei Infektionsfälle da sind, kann nunmal auch bei Prostitution keine gesteigerte Gefährdung des Gemeinwohls mehr seriös unterstellt werden.

Bei soviel Gemecker möchte ich zu guter Letzt noch eine positive Empfindung festhalten, die diese Pandemie mit sich gebracht hat: Online-Vorstandssitzungen. Habe ich ja schon öfter als Fortschritt gelobt aber gestern hatte ich nun noch mal wieder eine, vorgestern eine andere. Bei der vorgestern waren wir nach ner guten halben Stunde durch. Hätte man sich dafür physisch getroffen, wäre alleine die Fahrtzeit länger gewesen, ganz anderer Aufwand und die Besprechung selbst wäre auch nicht besser geworden, eher noch langwieriger, um den Aufwand zu rechtfertigen. Und auch teurer, denn neben den Fahrtkosten wäre auch noch ein Getränk vor Ort zu bezahlen gewesen. Ja, keine Unsummen – aber wenn man 30-50 solcher Sitzungen im Jahr hat, summiert sich auch das.

Relevanter ist aber wirklich der Zeitfaktor und damit bin ich wieder bei der Sitzung von gestern. Kreisvorstand. Es gab ein paar Kleinigkeiten zu besprechen, die auch wirklich zu besprechen waren, mehr aber auch nicht. Die Sitzung dauerte ne knappe Stunde. Wäre ich dafür quer durch den Landkreis gefahren, wäre die Fahrtzeit länger gewesen als die Sitzung und ich wäre hinterher tierisch genervt gewesen, weil ich solche ineffizienten Geschichten wirklich nicht mag. So verlief mein Abend wie folgt:

  • 18.45 Uhr: Ich stöpsele mein Chromebook an, damit der Akku zur Sitzung voll ist.
  • 19.25 Uhr: Ich greife mir mein Chromebook, zwei Bier, ein Glas, Flaschenöffner und Bluetoothbox und watschele gemütlich in den Garten.
  • 19.30 Uhr: Videokonferenz beginnt und ich sitze mitten im Grünen in kurzer Hose im Gartenhäuschen. Vor mir zwei erlesene Biere, die ich im Gasthaus niemals bekommen hätte, denn hier schenken sie nunmal gerne langweilige Massenplörre aus.
  • 20.24 Uhr: Die Sitzung endet, ich habe ja noch ein ganzes Bier übrig, das ich trinken wollte. Also mach ich noch ne Runde Netflix an und mache einen spontanen Videoabend im Garten.

Ein paar wenige Dinge dürfen gerne auch nach Corona noch bleiben. Ich möchte auch nicht jede Vorstandssitzung nur noch via Online erleben – aber der Großteil darf gerne so entspannt und effizient weiterlaufen.