Corona-Tagebuch: Tinder Rückwärts

Die Funktionsweise der Corona-Warn-App ist wie Tinder, nur rückwärts: Der Match führt zu unmittelbarer Einsamkeit.

Gemein aber irgendwie auch zutreffend. Und für viele App-Kritiker nach wie vor ein Grund, sich die App lieber gar nicht zu holen. Für mich der Grund, sie zu haben – denn ich möchte eigentlich schon wissen, wann ich möglicherweise andere gefährde, denn das möchte ich eigentlich ausschließen können.

Und so scheinen es viele zu sehen. Die App hatte gestern Abend schon über eine Million Downloads allein im Google Play Store. Bei Apple dürfte es nicht viel anders aussehen, auch wenn ich da keine Zahl zu gefunden habe. Aber im Bereich „Gesundheit und Fitness“, der ja durchaus auch noch ein paar andere Größen kennen dürfte, ist die App immerhin bereits Platz 1.

Im Landkreis Harburg ist gestern wieder eine Person als „genesen“ gemeldet worden. Das klingt so albern. Jede einzelne Person ist im Prinzip schon eine Meldung wert. In einer Pandemie. Aber bei nur 13 Erkrankten ist eben jede einzelne Genesung eine Verbesserung um fast 10 Prozent…

Dass vor diesem Hintergrund die aktuell geltenden Maßnahmen in Teilen immer schwachsinniger rüberkommen, merkt nun auch die Regierung. Gestern gab sie bekannt, dass man weitere Lockerungen ab kommenden Montag ermöglichen möchte.

Saunen, Kinos, Theater und Sportveranstaltungen dürfen wieder besucht werden. Natürlich mit Auflagen.

Die wichtigste Korrektur der Regeln, die gleichzeitig die bei weitem überfälligste ist, erwähnt der NDR quasi nebenbei: Die verfluchten Kontaktbeschränkungen, also dass, was unser Sozialleben seit Monaten lahmlegt, sofern wir uns denn überhaupt noch dran gehalten haben bei so offenkundiger Sinnlosigkeit, werden endlich gelockert.

Und das macht mich ehrlichgesagt etwas wütend. Denn diese Lockerung wäre schon vor Wochen angebracht gewesen. Angebrachter als jetzt. Vor drei Wochen hatten wir im Landkreis 15 Infizierte, Anfang dieser Woche waren es 13. Vor zwei Wochen waren wir mal runter auf 6. Spätestens das wäre der Zeitpunkt gewesen, diese albernen Kontaktverbote zu lockern. Und sei es vielleicht nur auf fünf, und sei es vielleicht auch nur für Zusammenkünfte im Freien. Stattdessen hat man uns diverse weitere Wochenenden unnötigerweise versaut. Um jetzt, wo sich die Zahl der Erkrankten zwischenzeitlich verdoppelt hat, direkt von einer Person, die man treffen darf, auf 10 zu gehen?!

Ja, mir ist schon klar, dass man als Landesregierung diese Regeln offensichtlich nicht an nur einem einzigen Landkreis festmachen kann und sollte. Aber man hätte ja zum Beispiel eine Lösung finden können, die solche Zusammenkünfte bei so gut wie nicht mehr vorhandenen Infektionen bereits auf Kreisebene einfach zu erlauben beginnt. Ich mein, andere Landkreise waren ja schon viele Wochen vorher bei null Infektionen, wie verarscht kommen sich die erst vor?

Und alles nur, weil Hannover, wo dieser Quatsch eingetütet wird, eben ne große Stadt mit immer noch hunderten Infizierten ist und die Entscheider nicht in der Lage sind, über ihren schmalen Hauptstadt-Tellerrand zu blicken, oder was?

Generell wäre es ja vielleicht sogar für die ganzen unverbesserlichen Vollidioten, die Corona sowieso nicht für eine Gefahr halten, ein sinnvoller Anreiz zu vernünftigem Verhalten gewesen, hätte man gesagt: Hör mal Keule, ab sofort ist es nicht nötig, dass der letzte Großstädter Kontakte meidet (was ihm sowieso nicht möglich ist), sondern, wenn ihr hier in Eurem Landkreis unter 20 Infizierte kommt, dann dürft Ihr Euch einfach mal wieder zum Grillen treffen!

Das wäre doch so ein Angebot gewesen, bei dem man völlig beknackt sein müsste, um weiterhin Leute absichtlich anzuhusten oder was auch immer diese Spinner so den ganzen Tag treiben!

Stattdessen macht man die absolut nicht repräsentative Entwicklung in Hannover zum Maßstab für ein größtenteils ländlich geprägtes Land und belässt es Wochen länger als nötig in sozialer Isolation. Was erlaube?!

Aber gut. Aller berechtigter Kritik zum Trotz ist jetzt also doch noch vor Ende des Sommers eingetreten, was ich gehofft hatte. Auch wenn ich überzeugt davon bin, dass kaum einer sich noch großartig an die Kontaktverbote so rigoros gehalten haben wird, wie man es hätte tun sollen müssen. Komplett wirre Regeln werden nunmal irgendwann ignoriert, wenn es keine triftigen Gründe mehr für sie gibt.

Was fängt man jetzt mit dieser neuen Freiheit an? Nach so langer Zeit wäre es eigentlich naheliegend, eine echte Party zu feiern. Der Wetterbericht fürs nächste Wochenende spricht zwar noch gegen irgendwelche Aktiväten draußen aber die Lockerungen gelten ja sowieso erst ab dem Montag danach. Und fürs übernächste Wochenende sind aktuell für Samstag 28 Grad und Sonnenschein angesagt. Ich war lange nicht mehr mit ein paar Freunden und viel Bier an der Elbe. Mal gucken.

Von den Masseninfektionen nach den ganzen Demos und der seit Monaten angekündigten „zweiten Welle“ ist übrigens nach wie vor auch Bundesweit nichts zu sehen. Selbst in Berlin geht die Zahl der Neuinfektionen zurück.

Corona ist für diesen Sommer einfach durch, so scheint es. Herbst und Winter kommen früh genug, also lasst uns doch einfach noch ein paar Wochen ein halbwegs normales Leben, bevor die Scheiße wieder von vorne losgeht.