Corona-Tagebuch: Die seltsamsten Ostern seit Jahrhunderten

Heute war der erste richtig sommerliche Tag in diesem seltsamen 2020, dazu noch Feiertag. Jetzt ist es Abend und deutlich kühler geworden, von den 23 Grad über Tag (im Schatten! In der Sonne war es teilweise schon kaum noch zum Aushalten) sind nur noch 17 übrig. Aber noch scheint die Sonne.

Normalerweise wäre der Teufel los am Deich bei so einem Wetter an so einem Tag. Alle paar Sekunden würde man laute Motorräder hören und auf dem Sportplatz, an dem ich nunmal wohne, würden nicht ausgelastete Halbstarke mit zweifelhaftem Musikgeschmack und viel zu großer Bluetoothbox sich anschreien und gegen Bälle treten. Da Ferienzeit ist, würde man dazu noch permanent Flugzeuge hören, die sich dem Hamburger Flughafen nähern.

Stattdessen ist es abgesehen von einigen wenigen Fahrzeugen, die den Deich entlang fahren (und das sind wirklich wenige) und ein bisschen Vogelgezwitscher mucksmäußchenstill.

Vielleicht sind das die seltsamsten Ostern aller Zeiten. Oder wenigstens seit Jahrhunderten. Mal abgesehen vom alles andere als begrüßenswerten Grund dafür, finde ich sie gar nicht mal so schlecht.

Auch wenn ich eigentlich dann doch lieber das übliche Osterfeuer erlebt hätte mit allem Drum und Dran. Stattdessen hat wohl gestern so ungefähr jeder einen Feuerkorb oder sowas Ähnliches angehabt und im engen Familienkreis dort ein paar Bierchen genossen. War jetzt auch nicht so schlecht – aber eben doch was Anderes.

Natürlich fiel auch alles Andere aus. Kein Ostereiersuchen des Sportvereins für Kinder, auch keine drei Tage Arbeit wegen des Osterfeuers für die Feuerwehr. Beides für mich nicht so wild aber: Auch kein gemütliches Bierchen mit den Freunden am Feuer.

Das haben wir dafür per Telebier gemacht, wie jeden Samstag in den letzten Wochen. Naja, fast. Ich saß nunmal parallel mit meiner Familie am Feuerkorb und habe versucht, beidem irgendwie zu folgen. Was rückblickend keine besonders gute Idee war, weil ich auf die Art von beidem nicht viel hatte. Das war eher anstrengend. Telebier ist offenbar eine ernste Angelegenheit, die volle Konzentration erfordert. Von daher werde ich das nächste Woche auf jeden Fall wieder anders machen.

Dafür hatte ich nach zwei Wochen Astra nun endlich mal wieder ein paar wirklich coole Biere am Start. Ich war nämlich einkaufen – und das in Salzhausen. Weil ich nun endlich mal das „Barnsteen“ von „De Lütte“, unserer kleinen Brauerei hier im Landkreis, kaufen wollte. Was mir auch gelang. Ich habe ganz dekadent gleich einen Sechserträger gekauft. Dekadent deswegen, weil das Zeug 2,70 Euro die Flasche kostet. Aber ich wusste ja schon, dass es geil schmeckt. Gleichzeitig wusste ich nicht, wann ich das nächste Mal Lust habe, ganz nach Salzhausen zum Einkaufen zu fahren und WENN ich das schon mache, ob ausgerechnet dann die „Barnsteen“-Vorräte im einzigen Laden auf dieser Welt, der das Bier verkauft, denn nicht, wie beim ersten Kauffversuch meinerseits, nicht wieder vergriffen sein würden… also wollte ich lieber ein paar mehr kaufen. Eins davon hab ich meinem Bruder abgegeben, dem es auch hervorragend geschmeckt hat. Schön süffig – und doch mit einer guten Bittere!

Ein paar andere Craft Beere hab eich auch noch gekauft. Nichts übermäßig durchgeknalltes, ein Weizen-IPA von Maisels und einen Vierer-Träger von Ratsherrn. Alles Sachen, die ich schon kenne. In der Krise setze ich auf Bewährtes!

Ich hab jetzt noch zwei Barnsteen und drei Ratsherrn übrig und vermute, dass ich die im Lauf der Woche leeren werde. Fünf Bier sind ja nicht viel und zumindest bei diesen gelegentlichen Videokonferenzen in diverser Funktion trinke ich nebenbei einfach gerne mal ein Bier. Und: Die, die ich gekauft habe, mag ich einfach alle sehr gern, so dass ich sowieso die ganze Zeit Bock habe, mir noch eins aufzumachen.

Aber das ist auch nicht so schlimm, weil mein neues selbstgebrautes Bier sich allmählich der Trinkbarkeit nähert. Es ist wirklich sehr hell geworden, ich kann nämlich durch die Flaschen durchgucken. Ich habe nun Bedenken, ob es nicht vielleicht zu dünn geworden ist. Es sind halt 20 Liter und wenn die scheiße schmecken, werde ich unter Umständen sehr lange keine Lust mehr haben, Bier zu brauen. Nächste Woche kommt diesbezüglich irgendwann die Stunde der Wahrheit…

Bezüglich unserer Ausgangssperren und Kontaktverbote ebenfalls in der kommenden Woche, beziehungsweise an deren Ende.

Da an Wochenenden üblicherweise weniger Fälle gemeldet werden, sind die aktuellen Zahlen noch mehr mit Vorsicht zu genießen, als sonst. Für mich ist völlig offen, was genau mit all den Maßnahmen ab der übernächsten Woche werden soll. Aber man kann wohl davon ausgehen, dass jedenfalls nicht alles von jetzt auf gleich zurückgenommen werden wird und so wie ich das sehe, wird das Ganze eher noch nach genau diesen Regeln einfach noch ein oder zwei Wochen verlängert oder so, vielleicht mit ein paar Lockerungen dort, wo es vertretbar scheint.

Was falsch oder richtig ist, weiß allerdings immer noch niemand so wirklich. Die Debatte um Schutzmasken geht seit Wochen hin und her. Wissenschaftliche Belege für deren Sinn gibt es keine. Viel spricht dafür, dass die Träger von Masken weniger Viren in die Luft pusten als andere. Man selbst kann sich damit eher nicht schützen und wer ohnehin nicht gut bei Puste ist, dem werden die eher schaden als nützen. Trotzdem nähen alle wie die Weltmeister. Sofern man an Material kommt, denn auch das ist rar geworden.

Gleichzeitig inszeniert die Presse eine Art Gelehrtenstreit zwischen zwei Virologen und ihren Studien. Normalerweise müsste man Witze machen über diese offenkundige Inszenierung, weil das alles so saublöd ist. Aber die Leute ziehen sich an jedem Detail hoch. Schon ist man so ein bisschen genötigt, sich in das eine oder das andere Lager zu schlagen. Obwohl es verdammte Wissenschaft ist und das Ziel eigentlich eine Verbesserung der Erkenntnislage sein sollte. Aber so ticken wir Menschen wohl nicht, es muss vor allem interessant sein. Und unsere Medien brauchen nunmal in dieser ansonsten eher ereignisarmen Zeit einfach ein paar Knaller zum weiteren Überleben – also heißt es Streeck vs. Drosten.

Mir ist das deutlich zu blöde. Ich habe Streeck neulich mal im Fernsehen gesehen und hatte einen guten Eindruck von ihm, geht mir bei Drosten aber auch so. Und ich habe bei beiden nicht wirklich den Eindruck, dass die Bock auf so einen Battle haben. Ja, ein bisschen Selbstinszenierung ist sicher dabei – aber auch legitim. Das, was die Medien draus machen, scheint mir trotzdem weder gerechtfertigt noch irgendwie hilfreich zu sein. Unterhaltsam ist es offenbar trotzdem für viele. Na dann.

Ein kleiner Shoppingtrip nach Salzhausen gestern war das erste Mal seit zwei Wochen, dass ich selber einkaufen gefahren bin. Ich hatte mit Bedacht so lange damit gewartet, weil ich am Gleichen Tag den Echo Show, unsere virendichte Sichtverbindung zu Oma in Betrieb nehmen wollte und möglichst kein Risiko eingehen wollte.

Natürlich wollte ich es eigentlich unbedingt vermeiden, Omas Wohnanlage zu betreten. Und natürlich hat das überhaupt nicht geklappt. Sie hat auch nur so halb verstanden, warum ich nicht rein wollte, auch wenn ich es ihr erklärt habe. Sie meinte aber, dass andere auch ständig Besuch bekämen und das offenbar kein Problem sei. Für mich wären Schlagzeilen wie „Virus eingeschleppt, 20 Senioren tot“ aber eben sehr wohl ein Problem gewesen. Aber wie gesagt: Ich bin seit gut zwei Wochen niemanden außer meinen Eltern oder meinem Bruder und seiner Frau begegnet. Natürlich gibt es keine Garantien aber ich denke, ich habe alles Menschenmögliche getan, um mir nichts einzufangen.

Am Ende musste ich jedenfalls nach einer halben Stunde vergeblicher Versuche der Fern-Inbetriebnahme (die vor allem deswegen scheiterten, weil Oma keine Erfahrung mit Touch-Screens hat und sich beim Passwort vertippt hatte, das dummerweise zwingend einmal direkt am Gerät eingegeben werden muss) dann doch rein in die Anlage und in ihre Wohnung. Dauer meines technischen Eingriffs: 20 Sekunden, dann lief die Kiste wie sie soll. Wir haben dann noch einen Test gemacht und ich hab Oma gezeigt, wie sie mich oder ihre Tochter darüber anrufen kann. Abends vom Feuer aus haben wir noch mal durchgeklingelt. Das Ganze haut super hin und auch Oma ist begeistert.

Einkaufen war seltsam. Was auch daran liegt, dass ich das eben so lange nicht mehr gemacht habe und sich seit dem echt viel geändert hat. Die Streifen für Abstand an der Kasse, die kannte ich schon. Leute, die mit Mundschutz rumlaufen hatte ich vorher noch nie gesehen. Die Möglichkeit, den Einkaufswagen zu desinfizieren, fand ich so amüsant umgesetzt, dass ich das unbedingt machen wollte. Es war lächerlich. Aber die haben da im Ernst eine große Plastikkiste mit sehr billigen, schlechten Servietten hingestellt und daneben einen großen Eimer mit Desinfektionsmittel. Und dann sollte man mit diesen echt ungeeigneten Servietten in den Eimer und dann den Wagen abwischen. War einfach nur eine große Sauerei und man stinkt einfach nur nach dem Zeug erstmal. So wird das sicher nicht im Sinne des Erfinders gewesen sein aber wie gesagt: Ich fand das so absurd und amüsant, dass ichs unbedingt machen wollte.

Erfreulich ist, dass offenbar auf den albernen Euro Pfand für den Wagen verzichtet wird. Die Dinger waren da überall abmontiert. Macht ja auch Sinn, würde nur bedeuten, dass man noch mehr Stellen unbedingt anfassen muss.

Nach der gleichen Logik hätte man eigentlich aber auch zumindest das Müllpfand zumindest temporär aufheben sollen…. das galt aber noch. Und ich hatte nen ganzen Wagen voll damit – weil zwei Wochen nicht einkaufen gewesen und so.

Es gab zwei Pfandautomaten. Die hatten vielleicht 10 Zentimeter Abstand zwischen sich. Hätte man die Sache mit dem Abstandhalten halbwegs ernst genommen, hätte man einen davon außer Betrieb gesetzt. Waren sie aber nicht. Natürlich hätte man sich dann immer noch so hinstellen können, dass man vom jeweils anderen Automaten weg atmet. Hat der Typ am linken Automaten aber nicht getan. Dafür hatte er schwarze Handschuhe an. Ein wahrer Held.

Für den Samstag vor Ostern war es im Laden recht chillig. Es war nicht leer aber es war auch nicht die übliche Vor-Feiertagsschlacht, sondern ich kam gut durch und es begegneten einem in den Gängen nur wenige Leute. Ich hielt mich dort auch relativ lange auf, weil ich die Bierauswahl ausgiebig studierte und noch ein paar andere Sachen besorgen wollte. Es lief eigentlich alles relativ entspannt – aber die 1,50-2 Meter Abstand, die einem ständig geraten werden, lassen sich beim Einkaufen definitiv nicht durchgehend einhalten. Ich habs ja versucht aber spätestens in den Gängen ging es teilweise einfach nicht. Und dabei habe ich teilweise schon den Rückzug angetreten, wenn mir wer entgegen kam.

Eine seltsame Welt ist das geworden. Und das innerhalb weniger Tage. Noch vor sechs Wochen hätte ich jeden Ausgelacht, der mir derartige Verhaltensweisen meinerseits prophezeiht hätte – von den Verhaltensweisen meiner Mitmenschen ganz zu schweigen.

Das tut ja alles nicht weh. Es ist seltsam, ungewohnt, teilweise auch nicht angenehm. Aber es geht schon. Auch, weil man weiß, dass es nicht für immer ist.