Corona-Tagebuch: Als wäre wieder März

Bereits vor drei Wochen waren wieder die ersten Regale in den Abteilungen Klopapier und Industriebrot leergehamstert. Habe ich selbst gesehen. Damals sahen die Zahlen zwar auch schon aus, als würden sie unerbittlich immer weiter steigen.

Aber mittlerweile ist sie definitiv da, die zweite Welle. Wir sind hier im Landkreis dabei sogar noch relativ spät dran damit. Süddeutschland und auch der Westen hat schon länger eine Inzidenz von über 50.

Inzidenz ist jetzt das neue Wort für Neuinfektionen in sieben Tagen pro 100.000 Einwohner. Diese Inzidenzzahl wird seit dem 14. Oktober auch von unserem Landkreis jeweils täglich zusammen mit den übrigen Zahlen ausgewiesen. Und man führt mittlerweile auch die „Aktiven Fälle“ auf, ebenfalls seit dem 14. Oktober. Dass die nirgends standen, sondern selbst berechnet werden mussten, war ursprünglich mal der Anlass für mich, meine eigene parallele Statistik mitzuschreiben, aus der ich für diese Artikelreihe ja immer diese netten Grafiken generiere.

Letzten Donnerstag waren „Die Ärzte“ bei den Tagesthemen und haben die Eröffnungsmelodie gespielt. Ich mag die Band. Aber die Nummer war ausgesprochen schräg. „Zufällig“ erscheint grade ein neues Album von ihnen und so sieht es eigentlich aus wie GEZ-Powered Promotion. Nein, faktisch ist es das sogar, da kann man gar nichts dran deuteln.

Allerdings waren sie auch da, weil sie engagiert sind für die Eventbranche, dazu gaben sie dann auch ein Interview. 1,4 Millionen Menschen seien da beschäftigt und die meisten davon hätten jetzt seit März so gut wie keine Einnahmen, Staatshilfen greifen in der Regel auch nicht, weil betriebliche Ausgeben fehlen und so weiter. Eigentlich alles lange bekannt aber natürlich ein berechtigtes Anliegen, darauf immer wieder aufmerksam zu machen.

Aber ist es wirklich die Aufgabe einer staatlichen Nachrichtensendung, Werbung für bestimmte politische Forderungen zu machen?

Die Ärzte wurden nicht müde, zu betonen, dass sie es ja gar nicht so nötig hätten, wie andere Bands. Was mich zu der Frage führt, warum man eigentlich nicht irgendeine andere Band einladen konnte, die es vielleicht deutlich nötiger gehabt hätte, dass man ihre Sachen kauft und hört.

Wie gesagt, ich mag die Band ja durchaus. Aber der Move war seltsam.

Ebenfalls seltsam war der Sprung meines Landkreises auf die gelbe Ampel. Der Landkreis hat die entsprechende Inzidenzzahl von 35 nämlich schon Freitag ans Land gemeldet. Und darauf hingewiesen, dass diese Meldung nichts bedeutet, sondern die Schaltung auf „gelb“ durch das Land geschieht – sobald die ihrerseits dies auf ihren Seiten veröffentlicht haben.

Dort sah es aber bis heute Mittag immer noch so aus:

Man beachte den Verweis auf den Stand vom 25. Oktober, was der gestrige Sonntag gewesen ist. Also ein Zeitpunkt, zu dem die Inzidenz von 35 bereits locker zwei Tage lang dem Land vorlag.

Wir haben jetzt volle 32 Wochen Pandemie erlebt und das Land kriegt es nicht hin, die wichtigsten Zahlen, die es aktuell gibt, in weniger als drei Tagen auf ihre scheiß Website zu schreiben. Bei allem Verständnis für besondere Umstände und so weiter. Aber das ist echt nicht besonders vertrauenserweckend. Ich hatte schon gewitzelt, ob das Land mal wieder vergessen hätte, dass der Landkreis Harburg durchaus noch zu Niedersachsen gehört…

Inzwischen ist der Stand aktualisiert worden, auch wenn er immer noch der Zahl vom Landkreis hinterherhinkt aber da heute offenbar keine weitere Schwelle mehr überschritten wurde, ist das an der Stelle auch nebensächlich.

Allerdings liegt die Inzidenz inzwischen (und das dürfte der Stand von heute Mittag oder so sein) auch schon bei 45. Ab 50 gilt wieder die gute alte Zwei-Haushalte-Regel und meine Wenigkeit darf dann effektiv nur noch eine Person zu Gast haben.

Nicht, dass ich die vergangenen Wochen sonderlich ausschweifend gefeiert hätte. Aber mal mit vier, fünf Leuten in der Regel draußen sitzen, bisschen reden und ein Bierchen trinken ging halt und tat nach soviel Einsamkeit gut. Das ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit später in dieser Woche definitiv vorbei, vermutlich morgen schon.

Aus Bayern, wo solche Zahlen fast flächendeckend längst vorhanden sind, liest man unterdessen von interessanten Regelungen, bezüglich Trauerfeiern.

Bayern glauben offenbar, dass das Virus zwischen religiösen und weniger religiösen Menschenansammlungen unterscheiden könnte. Man kommt in dieser Pandemie wirklich kaum aus dem Staunen raus.

Bis ungefähr letzte Woche habe ich sehr vorsichtig immer mal wieder über meinen runden Geburtstag nachgedacht, der gegen Ende diesen Jahres ansteht. Dass es keine große Party geben würde, war natürlich schon ziemlich lange klar. Schade, weil ich länger keine große Party gegeben und jetzt richtig Bock gehabt hätte. Aber kann man ja nachholen.

Trotzdem dachte ich, dass man vielleicht mit ner Handvoll guter Freunde ein wenig hätte reinfeiern können. Das dürfte nichts werden und ich habe heute konkret angefangen, mir so eine Art Ersatz auszudenken.

Morgen Mittag kommt spontan noch einmal meine Oma zu Besuch, damit sie ihren Urenkel noch ein letztes Mal sehen kann, bevor wir uns alle wieder in weitgehende soziale Isolation begeben.

Alles, wirklich alles ist auf einmal wieder wie im März. Gleichzeitig wird davon gefaselt, dass es keinen zweiten Lockdown geben sollte oder eben gerade doch, wilde Diskussion. Für die meisten von uns ist das, was jetzt ansteht, doch nur unwesentlich vom Lockdown aus März und April entfernt.

Für einige Branchen natürlich trotzdem eine Katastrophe, klar. Pandemie ist wirklich scheiße, braucht kein Mensch.