Corona-Tagebuch: Pandemie ist scheiße

Letzter Tag vor dem dritten Lockdown. Ab morgen hat abgesehen von Läden für den täglichen Bedarf alles zu. Nachdem Jens Spahn, immer noch Bundesgesundheitsminister, noch im September oder Oktober mal erklärt hatte, dass man so etwas mit dem Wissensstand von heute nicht mehr machen würde und das nie wieder passieren würde.

Bekannt gegeben wurde der Lockdown letztendlich vergangenen Sonntag um die Mittagszeit in Form einer Pressekonferenz von im Wesentlichen Angela Merkel und ein paar Ministerpräsidenten. Bei dieser Pressekonferenz wurde deutlich darauf hingewiesen, dass man dieses Mal sogar Supermärkte daran hindern wolle, ihr Sortiment auszuweiten. Vergessen zu erwähnen wurde hingegen, dass man Weihnachtsbäume als Waren des täglichen Bedarfs betrachten würde. Deutschland musste also davon ausgehen, dass man inklusive Sonntag also noch zweieinhalb Tage Zeit hatte, einen Baum zu besorgen, denn das hat ja Mitte Dezember längst nicht jeder getan.

Und da man das Spielchen inzwischen kennt, war auch jedem klar: Jaja, die mögen jetzt behauptet haben, dass das bis zum 10. Januar beschränkt sei. Aber jeder rechnet damit, dass wir den ganzen Winter nicht mehr vernünftig einkaufen werden, vielleicht auch noch bis April oder Mai.

Aber jedenfalls lange Zeit. Folgerichtig wurden die Sozialen Netzwerke geflutet mit Fotos von überfüllten Ikea-Parkplätzen.

Ich selbst war gestern bei der Post und wollte eigentlich ein Paket aufgeben. Das habe ich mir geschenkt und es stattdessen in den Paketkasten geworfen, die Schlange ging bis draußen und der letzte in der Schlange meinte da jetzt unbedingt dermaßen eine Rauchen zu müssen, das ich das schon in 10 Metern Entfernung durch die Maske riechen konnte. Da ne halbe Stunde neben zu stehen hatte ich echt keine Lust. Sich in Maske vollqualmen zu lassen ist einfach noch mal wesentlich ekelhafter als sowieso schon.

Davor war ich kurz bei nem Supermarkt und habe erlebt, dass auch da der Bär los war. Die schließen natürlich eigentlich gar nicht aber das scheint keine Rolle zu spielen.

Ist auch klar, die Leute denken, das es ja die Tage extrem voll werden könnte, weil man NUR NOCH in den Supermärkten irgendwas kaufen kann, inklusive letzter Weihnachtsgeschenke. Also gehen die vermeintlich schlauen jetzt schon mal los und kaufen alles, was sie brauchen.

Die richtig klugen haben das übrigens schon vor 1-2 Wochen getan. Meine Mutter zum Beispiel, mit ihrem Großeinkauf in dreistelliger Höhe beim Schlachter. Fleischmäßig wurde da ein Vorrat eingekauft, der locker bis ins nächste Jahr reichen wird. Dafür wurde der Weihnachtsbaum „erst“ gestern gekauft.

Zum dritten Mal in diesem Jahr sieht man auch wieder leere Klopapierregale. Beim letzten Mal war der Spuk ja nach zwei Wochen wieder vorbei, mal sehen, wie das jetzt läuft. Man kann wohl immer noch davon ausgehen, dass die eigentlichen Hamster nach wie vor hunderte Rollen vorrätig haben und hier wieder nur die gebrannten Kinder zuschlagen, die zwar noch ne halbe Packung haben, aber irgendwann im Frühjahr mal wochenlang nichts gekriegt hatten.

Bild könnte enthalten: Innenbereich

Heute ist der 15. Dezember und das bedeutet, dass ab heute die Impfzentren startklar sein sollten. Da der Impfstoff wohl erst nach Weihnachten zugelassen werden wird, ist es allerdings auch nicht schlimm, wenn das noch ein paar Tage dauert.

Warum das eigentlich so viel länger dauert, als anderswo (Briten und Amerikaner impfen zum Beispiel bereits – und zwar mit dem gleichen Impfstoff, der wohl auch hier als erstes zugelassen wird, nämlich den in Deutschland entwickelten) ist auch so eine Frage, die aktuell gern gestellt wird. Meine Vermutung ist ja, dass es eigentlich scheißegal ist, weil die Produktion sowieso nicht genug davon liefern könnte, als dass man da jetzt impfen könnte, was das Zeug hält und erste Berichte aus UK deuten auch daraufhin, dass man da eher für die Show mal ein paar Leute geimpft hat und dann war der Impfstoff sowieso erstmal wieder alle.

Vielleicht ist auch die geringe Verfügbarkeit der Grund für den wenig ambitionierten Plan, fast das ganze nächste Jahr damit zu verbringen, priorisierte Gruppen impfen zu wollen, bevor dann im November oder so auch mal Normalbürger an die Reihe kommen sollen.

Vielleicht sind diese ganzen Impfpläne aber genau so wenig für voll zu nehmen wie die jeweils aktuellen Lockdownregelungen, weil sich die Situation sowieso alle paar Tage komplett ändert.

Andererseits würde es auch niemanden überraschen, wenn auch hier wieder einfach nur gestümpert wird und Regierungsversagen offenbar wird.

Apropos: Was ist denn jetzt eigentlich mit dieser Impfstoffbude, die die Bundesregierung für hunderte Millionen gekauft hat im Frühjahr? Eingekauft wird ja nun bei anderen. Auch so ne schräge Nummer. Ich habe bis heute nicht verstanden, was dieser Kauf sollte.

Allerdings sollte man an dieser Stelle vielleicht mal einen Blick auf die Ursache der Kopflosigkeit der Politik werfen. Und das ist das aktuelle Infektionsgeschehen:

Das, was wir im Frühjahr hatten, wirkt wie ein harmloses Vorspiel für die aktuelle Situation. Und das, obwohl uns diese Zeit als so so heftig in Erinnerung geblieben ist. Erinnert sich noch jemand an die Klatscher, die es für eine kluge Idee hielten, Klinikpersonal jeden Tag nach Feierabend vom heimischen Balkon aus zu applaudieren?

Ich fand das damals schon eher lächerlich. Klassischer Fall von gut gemeint. Heute klatscht auch keiner mehr. Meine Vermutung: Die Leute, die das gemacht haben, dachten, dass so ne Pandemie nach einigen Wochen vorbei ist. Als sie festgestellt haben, dass man mit sowas Jahre zu tun hat (wenn es gut läuft, ansonsten Jahrzehnte), haben sie es sofort sein gelassen. Und das ist doch eigentlich noch peinlicher, als gar nicht erst damit angefangen zu haben.

Zumal damals nichts los war. Viele Kliniken gingen in Kurzarbeit, weil man Betten frei hielt für Coronafälle, die es in dem Umfang (zum Glück) dann aber nicht gab. Eigentlich wäre jetzt die Zeit für solche Aktionen. Oder auch für die albernen Durchhaltebanner meiner Gemeinde, die ich ebenfalls peinlich fand. Aber jetzt hat man sein Pulver halt verschossen und jede neuerliche Durchhalteparole in derartigen ja eigentlich netten Formen würde nur ein Schulterzucken auslösen.

Kommen wir zur Situation im Landkreis. Die Inzidenz bewegt sich hier relativ stetig auf ihren früheren Höchstwert von fast 100 zu und vermutlich wird sie die auch irgendwann noch reißen.

Was für unsere Verhältnisse nach einer schlechten Entwicklung aussieht, ist im bundesweiten Maßstab geradezu moderat. Wir stehen bei 83, Schleswig-Holstein, das immer noch die besten Zahlen hat, steht bei 81 und fast alle anderen Länder liegen weit darüber. Niedersachsen steht bei 90,8, Mecklenburg-Vorpommern bei 92,2. Hamburg liegt mit 128 schon auf Platz vier, Sachsen hat den Spitzenwert von 328 und Thüringen steht bei 251. Bayern hat es immerhin unter die 200er-Marke geschafft und liegt jetzt bei 192.

Die Kurve wirkt, als würde sie zuletzt sinken, das täuscht allerdings. Die Daten für den heutigen 15. Dezember sind nämlich die Zahlen ohne die Infektionen, die heute noch gezählt werden, da der Tag ja erst angefangen hat.

Die Lage ist also durchaus beschissen und ehrlich gesagt bin ich nicht überzeugt davon, dass dieser Lockdown jetzt den großen Unterschied macht. Denn Bus und Bahn darf man weiterhin fahren, Schulen haben zwar erstmal Ferien aber die sind dann auch bald wieder vorbei.

Jeder soll alles tun, um Kontakte zu vermeiden. Außer, er nutzt den ÖPNV oder geht zur Schule. Was soll das bloß? Man verlangt von allen Übermenschliches, um die Situation in den Griff zu kriegen und baut dann so heftige Ausnahmen ein, dass das Ganze scheitern muss?

Und es möge bitte niemand kommen mit dem Märchen, dass den Leuten das sonst nicht zuzumuten sei.

Es ist schon erbärmlich, wie Teile der Politik jetzt schon mal versuchen, den Schwarzen Peter der Bevölkerung zuzuschieben.

Es gibt keine Rechtfertigung für die Stümperei. Die Wahrheit ist, dass Bundesregierung und Landesregierungen keinen Mut zu konsequenten Entscheidungen und damit auch keinen Mut zu einer echten Strategie haben. Deswegen wird rumgeeiert und dauernd alles wieder umgeschmissen.

Ich mag längst nicht alles sinnvoll finden, was so beschlossen und durchgeführt wird. Aber ich nehme es letztlich hin und das tun 95 Prozent der Leute. Die Bürger sind hier nicht das Problem.

Ich habe es sogar verstanden (und in sozialen Netzwerken ansatzweise verteidigt), dass eine eigentlich nette Aktion am 3. Advent (vergangenen Sonntag), in der um die 30 mit Lichterketten und allerlei Weihnachtskrempel geschmückte Trecker quer durch den Landkreis fahren und zum Beispiel Altenheime mit Weihnachtsbäumen beliefern wollten, von der Polizei aufgelöst wurde, weil in Meckelfeld hunderte Leute am Rand standen und den Tracktoren mit Glühwein in der Hand zuwinkten.

Der Trecker-Trek fuhr auf dem „Rückweg“ durch Fliegenberg, wo ich ein paar Fotos machen konnte. Leider waren die sehr schnell unterwegs.

Die Nummer war zwar nett und gut und das war auch hübsch anzusehen. Aber sehr breit angekündigt, so dass in den Ballungsgebieten eben massenweise Leute an der Straße standen und die Nummer zum Scheitern verurteilt war. Tut einem nicht nur Leid für die Landwirte, die da offensichtlich viel Liebe und Mühe reingesteckt haben sondern auch für die Heimbewohner, die sich genau so drauf gefreut hatten, wie viele Kinder, bei denen es nun Tränen gegeben hat.

Pandemie ist scheiße. Für alle.