Corona-Tagebuch: Freedummday

Es wird eine meiner ersten Feststellungen gewesen sein, wenn es darum geht, wie albern die Extreme mit Corona umgehen. Und offensichtlich bleibt das auch bis zum Schluss so, dass Corona-Paniker wie Corona-Skeptiker relativ gleichauf liegen in Sachen Nerv-Faktor und zur Schau gestellter Blödheit.

Wobei man sagen muss, dass die Skeptiker derzeit weniger nerven, beziehungsweise sicherlich auch weniger geworden sind, weil man einfach mehr darf. Aber dafür haben die ja die letzten Monate keine Gelegenheit ausgelassen, um sich lächerlich zu machen mit irgendwelchen Lichterkettenaktionen für die Millionen Impftoten und was die sich sonst noch so alles von ihren Telegramkanälen an Unsinn haben aufschwatzen lassen.

Dafür überbietet die Panikfraktion sich jetzt mit schrägen Aussagen. Wie man denn nur die Maskenpflicht abschaffen kann und Masken seien doch so sinnvoll. Ja, das Tragen hat auch keiner verboten, es ist nur nicht mehr verboten, keine Maske zu tragen.

Aber diesen Unterschied versteht der Durchschnittsdeutsche ja sowieso nie. Wie, man kann Sachen auch machen, obwohl man nicht zu ihnen gezwungen wird? Huch?

Dazu sei angemerkt: Die Maskenpflicht ist gar nicht abgeschafft. Also jedenfalls in Niedersachsen nicht. Und mir ist es egal. Also nicht völlig. Mich nervt schon, dass anderswo zu gehen scheint, was hier für undenkbar erklärt wird. Aber ganz ehrlich: Ob wir die Dinger jetzt noch ein paar Wochen länger tragen, ist mir reichlich egal, solange der Trend klar in Richtung Normalität geht. Was er tut, sogar in Niedersachsen.

Natürlich kommen weiterhin vermeintliche Sensationsmeldungen der nächsten Horrorvariante. Ja gut, die Presse muss ja irgendwie ihre Seiten füllen.

Wobei das eigentlich im Moment „Dank“ des russischen Vernichtungskrieges in der Ukraine einfacher geworden ist, als die letzten zwei Jahre, wo auf der Welt kaum etwas anderes als Pandemie passiert ist.

„Freedummday“ ist der Hashtag und das Schlagwort, mit dem die Paranoia-Fraktion die letzten Tage gerne um sich wirft. Weil Freiheit ist voll dumm, Eigenverantwortung sowieso. Freedummday ist aus ideologischer Perspektive ein wirklich sehr deutsches Wort.

Und es ist auch typisch Deutsch, komplett nicht damit klar zu kommen, dass man jetzt dann doch wieder selbst dafür zuständig ist, sich vernünftig zu verhalten. Und mit zu wenig Dressur durch die Regierung kommt der Deutsche traditionell nicht gut klar. Deswegen regeln wir ja alles so gerne bis ins letzte Detail. Und bis möglichst gar keine Spielräume mehr da sind, denn Spielräume bedeuten immer anstrengendes Selberdenkern und selbst Verantwortung übernehmen zu müssen. Superunbequem.

Meine Empfindung der Situation ist gar nicht, dass die Leute alle total unvorsichtig werden. Sondern man genießt zwar, dass es immer noch keine harten Lockdowns mehr gibt, man macht mal wieder ein bisschen was mit Menschen und verdammt, jedes Mal merkt man immer noch, wie sehr uns allen das die beiden Jahre doch gefehlt hat, wo so etws selten bis gar nicht vorkam und auch nicht vorkommen durfte und es ja zumindest bis zu den Impfungen auch einfach unvernünftig gewesen wäre.

Aber gleichzeitig ist es geradezu selbstverständlich geworden, dass man sich mal eben testen fährt, wenn man mehr als ne Handvoll Leute trifft. Das ist überhaupt nicht Vorschrift, zumal, wenn sowieso alle geimpft sind und trotzdem wird das einfach so gemacht. Weil man sich vorsieht, weil man keine Lust hat, ein Virus weiterzugeben, weil man einfach Eventualitäten ausschließen will und so weiter und so fort. Alles in dem Wissen, dass man dem Virus ohnehin nicht entgehen wird. Aber es eben die Lage auch nicht angenehmer macht, wenn die Zahlen immer weiter hochgehen. Und sicher auch, weil man nach wie vor etwas Schiss hat, dass wenn sie es doch tun, die Politik wieder den Kopf verliert und der nächste Lockdown kommt oder so.

Und die Zahlen sind unverändert hoch. Im Landkreis Harburg hat die Inzidenz gestern wieder die Marke von 1500 überschritten. Sie ist seit dem 23. Februar (also relativ präzise seit einem Monat) jeden Tag gestiegen.

Allerdings ohne, dass irgendwas ernsthaft gelockert wurde. Oder dass es erkennbar wäre, dass irgendeine der letzten Regeländerungen dafür verantwortlich zu machen wäre. Das waren aber ohnehin nur Kleinigkeiten, symbolische eher Geschichten. Dinge, die im Dezember erst verschärft worden waren und auch da nicht erkennbar zur Senkung der Infektionen geführt hatten.

Es ist nicht so, das alles nichts brächte. Es ist aber so, dass das meiste so gut wie nichts bringt. Was nach wie vor hilft ist, wenn Infizierte wissen, dass sie infiziert sind und sich von anderen fernhalten. Ausgerechnet das ist aber immer noch kein bisschen schneller geworden, als zum Beispiel vor Jahresfrist. Die Corona-Warn-App warnt einen ne Woche später vor Kontakten, die man gehabt haben könnte. Toll. Man bekommt das also zu einem Zeitpunkt mitgeteilt, zu dem man das selbst gemerkt hätte, wenn man wirklich infiziert und infektiös wäre. Man kann dann einen PCR-Test machen, der einen möglicherweise in Quarantäne befördert und es ist nicht auszuschließen, dass man damit ein paar Infektionen verhindert.

Aber eigentlich läuft dieser Prozess albern langsam ab und das ist hausgemacht. Weil wir zu wenig PCR-testen und stattdessen auf Verbote setzen. Aber das habe ich hier auch schon zig mal angerissen, was ja auch zeigt, dass das einfach so ist und wir es aus welchen Gründen auch immer nicht geändert kriegen.

Wir machen lieber ein Riesentheater um Dinge, die man sieht und das, was man nicht sieht, aber viel wichtiger wäre, wird weiter stiefmütterlich behandelt. Symbolpolitik statt mal nach Effizienz zu fragen.

Ein ernsthaftes Moratorium, welche Maßnahmen wie viel gebracht haben, gibt es in Deutschland nicht und fordert bisher auch niemand. Es gibt ja wissenschaftliche Erkenntnisse dazu und die könnte man ja zumindest mal unter dem Gesichtspunkt angucken, was man sich für künftige Entwicklungen so in den politischen Köcher packt.

Wobei ja vielleicht genau das schon passiert ist und wir deswegen keinen harten Lockdown mehr hatten, trotz Inzidenzen jenseits der Tausend. Nach wie vor wird ja nichts kommuniziert, außer der sich weiterhin ständig ändernden Regelungen.

Alles in allem ist die Situation eher diffus. Wie ein Freedomday fühlte sich der gestrige Montag nicht an, wie ein Freedummday erst recht nicht. Vielleicht ist das die niedersächsische Perspektive, weil sich hier eh nichts verändert hat, von dem ich jetzt auf Schlag wüsste. Aber für mich ist und bleibt das einzige, was mir aufgefallen wäre, das alberne Theater der Paniker, die den Wegfall der Maßnahmen als etwas begreifen, dass jetzt zwangsläufig massenhaftes Sterben nach sich ziehen muss.

Was sich erst Recht lächerlich anhört in einer Zeit, in der um die Ecke ein immer schlimmer werdender Krieg tobt. Aus dem ich an dieser Stelle genau eine kleine Geschichte hier festhalten möchte, die von der ich vorhin gelesen habe.

Denn Boris Romantschenko, der sich mit seinen 96 Jahren die letzten zwei Jahre wegen Corona fast nur noch in seiner Wohnung in Charkiv aufgehalten und die Pandemie bis hierhin mit dieser Strategie überlebt hatte, wurde nun von russischen Bomben getötet – eben weil er sich zuhause aufgehalten hatte. Der Mann hat nicht nur Corona, sondern in seiner Jugend den Aufenthalt in gleich vier Konzentrationslagern, darunter so Todesmühlen wie Buchenwald und Dora, überlebt.

Es ist immer dumm und selten irgendwie irgendwohin führend, sowas zu vergleichen. Aber mir geht es an dieser Stelle auch nur darum, zu zeigen, dass es auf eine Art auch völlig in Ordnung ist, wenn dieser Krieg medial die Pandemie ein wenig verdrängt. Zumal dessen Auswirkungen ja bis vor unsere Haustür reichen: Im Schlosspark in Winsen steht seit 1-2 Wochen ein Zelt mit Ukrainern, vor dem Kreishaus wehr die ukrainische Fahne.

Und es redet kaum noch jemand über Maßnahmen und ihren Sinn, über die Infektionszahlen oder sonstwas. Was natürlich auch daran liegt, dass wir das zwei Jahre getan haben und das Thema in der ganze Zeit auch nicht sexier geworden ist. Aber schon auch daran, dass das, was in der Ukraine passiert, uns alle noch einmal mehr beeindruckt als jene Bilder aus Italien oder China, die uns vor gut zwei Jahren auf diese Pandemie recht unsanft begannen vorzubereiten.

Als der Ukraine-Krieg begann und daraus relativ schnell ein Konflikt von globaler Bedeutung wurde, hatte ich übrigens zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder dieses Gefühl, dass da grade etwas wirklich epochales, die Welt veränderndes passieren könnte.

Das Time-Magazine titelte unlängst „Russia is down. Forever“ und zeigte eine Tankstelle mit dem russischen Staatswappen drauf, die nicht nur uralt aussah, sondern sichtlich außer Betrieb war. Und von diesem Cover fühle ich mich in meinem damaligen Gefühl bestätigt: Das hat die Welt wieder einmal völlig geändert. Für die Ukraine definitiv nicht zum Guten, für Europa kurzfristig sicher auch nicht. Mittel- bis langfristig kann das anders aussehen aber das ist zu diesem Zeitpunkt reine Kaffeesatzleserei. Definitiv aber ist dieser Krieg nach nur zwei Jahren das zweite wirklich krasse Ereignis, dass die Welt in ähnlicher Weise beeinflusst. Und längst haben verschiedene Leute dieses Gefühl artikuliert, dass man wohl 2020 in einen Alptraum geraten ist, der seitdem höchstens schlimmer geworden sei.

Dem ich mich so nicht anschließen kann, auch wenn Mancher das aus vernünftigen Gründen anders sehen wird. Aber jedenfalls die Pandemie ist nicht schlimmer geworden, sonst wären die aktuellen Zahlen nämlich wirklich die Katastrophe, die sie vor zwei Jahren hätten sein können, hätten wir sie dort erlebt. Und ungeachtet von all dem tatsächlichen Leid, das gerade geschieht, finde ich es wirklich einen sehr ungünstigen Zeitpunkt, um die Situation schwärzer zu malen, als sie ist.

Aber ja, das sagt sich vom norddeutschen Küchentisch aus natürlich immer einfacher, als aus der wohl inzwischen in eine Trümmerwüste verwandelten Stadt Mariupol am Schwarzen Meer, vor nicht allzu langer Zeit mal über 400.000 Einwohner groß (davon die knappe Hälfte übrigens Russen).