Corona-Tagebuch: Die große Verwirrung

Am Wochenende gab es offenbar bundesweit teilweise große Demonstrationen. Demonstrationen sind mittlerweile nicht mehr verboten (Verfassungsgerichte haben den Regierungen glücklicherweise klar gemacht, dass man sowas nicht verbieten darf) aber es gibt gewisse Maximalgrößen, denn man möchte ja auch dort eigentlich halbwegs den Infektionsschutz sicherstellen.

Wenn nun aber Impfgegner, die sich mehr und mehr zu „Coronaleugnern“ wandeln (was wieder mal so eine dumme Wortschöpfung ist aber es sind jedenfalls Leute, die entweder gar nicht an die Existenz des Coronavirus glauben oder zumindest meinen, es wäre absichtlich von diesem oder jenem in die Welt gesetzt worden oder aber es würde zwar vielleicht schon existieren, sei aber in Wirklichkeit weit ungefährlicher, als die gesamte Wissenschaft des Planeten Erde behauptet und so weiter) auf die Straße gehen und nicht nur ihre eigene Dummheit öffentlich zur Schau stellen wollen, sondern eben auch, wie verdammt Ernst sie es meinen, interessiert die natürlich keine Abstandsregel mehr und auch kein Mundschutz oder so. Die wollen im Wortsinn demonstrieren, was sie von genau diesen Regeln halten, also ignorieren sie sie. Das ist konsequent, auch wenn es dadurch nicht weniger blöde wird.

Eine Ursache für diesen Irrsinn ist sicherlich, dass die Wissenschaft hinter den ganzen Maßnahmen ausgesprochen schwer zu verstehen ist. Ich verstehe die auch nicht, wie ich hier glaube ich oft genug dokumentiert habe. Ich verstehe dieses Hin und Her nicht, warum mal Mundschutz falsch, mal richtig ist, warum Kinderspielplätze ohne Mundschutz plötzlich in Ordnung ist, man aber Kitas nicht öffnen kann und in Schulen weiterhin eine komische Schiene fährt, die mit Sicherheit verhältnismäßig wenig zum Bildungsstand der Schüler beitragen wird.

Und die Kriterien, anhand derer Regeln geändert werden – was ja ständig passiert – sind vollständig intransparent und oft genug nicht nachvollziehbar. Was natürlich auch daran liegt, dass man meint, dass immer unbedingt alles Mögliche bundesweit einheitlich passieren sollte, während aber nunmal die virale Situation sich natürlich überhaupt nicht bundesweit einheitlich darstellt, sondern höchst unterschiedlich. Selbst innerhalb der Bundesländer ist das so. Da gibt es eben zum Beispiel in Niedersachsen die Region Hannover, mit Hannover als großer Stadt in der Mitte und in dieser Region hat es über 2000 Infektionen insgesamt gewesen, was mal eben knapp ein Viertel dessen ist, was im ganzen Land insgesamt an Infektionen aufgetreten ist. Im Landkreis Lüchow-Dannenberg hatten wir in Summe(!) sage und schreibe 18 Fälle (inzwischen gibt es dort keine gemessenen Infizierten mehr) aber die Beschränkungen, die es in Hannover (oder auch hier im Landkreis Harburg gab), galten dort natürlich ganz genauso. Ist das verhältnismäßig? Ist das intelligent? Ich kann nicht nachvollziehen, warum man meint, relative Hot Spots genauso zu behandeln wie praktisch weiße Flecken. Schon gar nicht, wenn man sich klar macht, welche Kollateralschäden das so mit sich bringt, sei es nun rein wirtschaftlich, sei es menschlich oder sei es, was da den jungen Leuten teilweise an schulischer Bildung einfach mal so genommen wird.

Man kann auf sowas nun auf zwei Arten reagieren. Die Blödis tun so, als wüssten sie alles und gehen deswegen auf die Straße, weil sie die Politik folgerichtig ablehnen. Denn sie wissen alles und kommen zu ganz anderen Schlüssen.

Die Alternative ist meine: Ich verstehe da vieles nicht, ich habe den dringenden Verdacht, dass viele meiner Zweifel wahrscheinlich sogar angebracht sind und es heftige Missstände gibt und gab, was das Management rund um Corona betrifft. Gleichzeitig sind mir folgende zwei Punkte klar: 1. ist das Ganze nach wie vor ein epochales Ereignis, wie es das seit mindestens hundert Jahren so nicht gegeben hat, in dieser Form der weltweiten Verbreitung eigentlich sogar noch nie. Es wäre höchst verwunderlich, wenn Regierungen in so einer Situation, auf die man einfach nicht perfekt vorbereitet sein konnte, Fehler machen und einige davon kann man sicher gut entschuldigen. 2. weiß ich nicht alles und ich verstehe auch nicht alles und nur, weil ich etwas nicht verstehe, ist es halt nicht automatisch Unsinn.

Gerade der zweite Punkt fällt vielen im Social-Media-Zeitalter offenbar schwer. Sie haben doch dieses oder jenes im Internet gesehen und Ken Jebsen sieht das doch auch so und Virologe X hat Y gesagt und Lungenarzt aus Soundso bestätigt das und bla bla laber blubb!

Ich habe in der Vergangenheit Demokratie in ihrer realexistierenden Form gerne kritisiert (und werde das auch in Zukunft tun), weil sie seltsame und offensichtlich falsche Entscheidungen auslöst. Aber an diesem Punkt und daran, wie diese ganzen sich selbst erleuchtenden Hobby-Coronaexperten inzwischen auftreten und wie abstoßend ich die finde, merke ich einmal mehr, dass ich im Herzen dann eben doch Demokratie für das sinnvollere Konzept halte.

Und diese Demokratie läuft ja so: Wir wählen alle vier, bzw. fünf Jahre (auf Landesebene) ein paar hundert Leute, die wählen dann jeweils Regierungschefs für Land und Bund und deren Job ist es ganz maßgeblich, zum Beispiel solche Krisen wie die aktuelle zu meistern. Sind die vier oder fünf Jahre um, können wir gucken, ob wir mit der Arbeit zufrieden waren oder eben nicht. Da wir ein freiheitlicher Staat sind, dürfen wir sie unterwegs nach Herzenslust kritisieren und scheiße finden. Aber egal, wie falsch wir ihre Entscheidungen im Einzelnen finden: Vor Ablauf dieser Amtszeit werden die im Normalfall ihren Posten nicht mehr verlassen und einfach weitermachen, wie sie es für richtig halten.

Dass das nicht nur Vorteile hat, ist klar. Es hat aber jedenfalls den Vorteil, dass bei einem kurzfristigen Stimmungsumschwung nicht unbedingt gleich die Richtung um 180° geändert wird.

Mal schauen, wie sich die öffentliche Meinung so weiter entwickelt. Einige Änderungen stelle ich ja jetzt schon immer wieder fest. Lieblingsbeispiel: Die Klinikklatscher. Oder auch insgesamt diese mir damals schon absurd vorkommende Euphorie, mit der einige in diesen Lockdown gegangen sind. „Cool, jetzt müssen wir endlich mal alle zusammenhalt, das wird bestimmt toll.“ Habe ich nie verstanden, fand ich gefährlich und wie wir sehen, ist davon auch so gut wie nichts mehr übrig – und das nach nur wenigen Wochen.

Die große Verwirrung mit ihren vielen Ursachen wird ihren Teil dazu beigetragen haben. Sich widersprechende wissenschaftliche Erkenntnisse – die teilweise einfach darin begründet sind, dass die Wissenschaft nunmal anfangs so gut wie nichts wusste und mittlerweile wenigstens wenig – tun ihr Übriges.

Wisst Ihr noch damals vor 6 Wochen, als Corona gerne als Krankheit bezeichnet wurde, die eigentlich nur alte weiße Männer befällt?

Hier trifft im Moment eine Welt, in der viel zu Viele glauben, sie wüssten immer alles und das Bisschen, was sie nicht wissen, könnten sie in 3 Minuten bei Youtube lernen, auf ein Virus, über das selbst die Speerspitze der Wissenschaftler so wenig wissen, dass sie im Wochentakt andere Ratschläge an die Politik geben müssen, die wiederum den eigentlich unmöglichen Spagat probiert, das Land wirtschaftlich nicht völlig zu ruinieren, den Blödis nicht mehr Futter zu geben als nötig und trotzdem die Infiziertenzahlen auf ein einigermaßen beherrschares Maß zu senken.

Eine Mission Impossible, die selbst im besten Erfolgsfall in erster Linie Verlierer und wütende Massen produzieren wird. Und wer auf jeden Fall (langfristig! bitte nicht verwechseln mit den aktuellen Momentaufnahmen) verlieren wird, sind die heute Regierenden, die in Wirklichkeit momentan abwechselnd jeder nur denkbaren Bevölkerungsgruppe mal unglaublich auf den Senkel gehen müssen, um ihren undankbaren Job zu erledigen.

Was bitte nicht heißt, dass man Regierungen oder Abgeordnete nicht mehr kritisieren darf. Das darf und sollte man unbedingt. Aber man sollte sich dabei vielleicht hin und wieder auch mal die Situation klar machen, in der eben auch diese Leute sich grade befinden.