Kommende Woche wollte die hiesige FDP eigentlich ihren Kandidaten für die Bundestagswahl aufstellen. Das muss man bis zu einem bestimmten Zeitpunkt tun, denn es gibt verbindliche Fristen. Es war nun schon der zweite Versuch – und auch der wurde nun abgesagt.
Und zwar in Verbindung mit einer Fristverlängerung seitens des Landeswahlleiters. Man kann nun bis zum 8. Mai Kandidaturen einreichen.
Diese Veranstaltungen müssen zwingend als Versammlung stattfinden und können per Gesetz nicht einfach online veranstaltet werden. Jede Partei muss das so machen.
Angenommen, die neue Virusvariante schlägt so richtig durch, wird es allerdings bis dahin unter Umständen noch beschissener aussehen, als jetzt.
Der Kreisverband lädt nun also zum dritten Mal für die gleiche Veranstaltung ein. Die Leute, die diese Einladungen schreiben und versenden, machen das übrigens ehrenamtlich. Und das nicht gerade geringe Porto für solche Aktionen zahlen natürlich auch die Mitglieder.
Corona geht damit immer mehr auch zulasten der Demokratie und angesichts der Verschiebung dieser Anmeldefrist, frage ich mich, ob nicht eventuell doch noch die Bundestagswahl verschoben werden könnte.
Spätestens dann würde es fragwürdig, spätestens dann hätte man einer amtierenden Regierung ihre Regierungszeit verlängert, weil gerade Pandemie ist.
Was natürlich unausweichlich und nötig sein kann. Aber dennoch der Demokratie direkt schadet und den demokratischen Prozess relativiert.
Dabei wären die Zeiten eigentlich wie gemacht dazu, zu einer Sternstunde der Demokratie zu werden. Denn der Staat versagt grade an allen Ecken und Enden.
Als am Montag die Schule weitgehend online starten sollte, stellte sich „überraschend“ raus, dass man dazu eventuell dann doch so viele Serverkapazitäten gebraucht hätte, wie man Schüler hat. Für mit Schule befasste Profis offenbar eine Neuigkeit, die sie so nicht absehen konnten oder wollten. Was zum Teufel?
Noch geiler ist eigentlich der jüngste niedersächsische Impftermin-Fail. Das Ministerium dachte sich, es sei eine gute Idee, die Einladerei selber zu regeln. Das an sich schon ist einigermaßen überraschend, da Ministerien eben nicht über entsprechende Datensätze verfügen. Kein Problem, dachte man sich in Hannover: Gibt doch Dienstleister!
Gesagt, getan. Man kaufte Adressen bei einem Dienstleister ein. Und zwar von allen Leuten über 80. Diese Dienstleister allerdings kennen das tatsächliche Alter gar nicht, sie schätzen es.
Anhand des Vornamens.
Was könnte da schon schiefgehen?
Gestern platzte unserem Bürgermeister – immerhin Mitglied einer Regierungspartei im Land Niedersachsen und normalerweise sehr sparsam mit Kritik an seiner Regierung – diesbezüglich auf Facebook der Kragen. Zu Dokumentationszwecken zitiere ich das Posting komplett:
Thema Impfinformation in Niedersachsen:
Das muss jetzt raus – wer also auf der Suche nach ausschließlich fröhlichen und lobenden Posts ist, der sollte weiterscrollen. Worum gehts? Darum wie das Sozialministerium die Info zum Impfen mit Karacho gegen die Wand gefahren hat und wie wir jetzt vor Ort versuchen, den Karren wieder flott zu machen:
Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Es ist eine herausfordernde Zeit und natürlich: Wer in diesen Zeiten viel Verantwortung trägt, der macht auch Fehler. Ich neige eigentlich nicht dazu, mich mit sowas länger aufzuhalten. Auch ich bin Verantwortungsträger- auch ich mach Fehler, auch größere. Das mal vorweg.
Und jetzt kommt das „aber“: die Leistung des Niedersächsischen Sozialministeriums zur Information der über 80jährigen zu den bevorstehenden Impfungen ist in Schulnoten eine glatte 6!
Wer um Himmels Willen kommt auf die Idee für viel Geld Adressen zusammenzukaufen und sehenden Auges damit nur rund jede zweite betroffene Person anschreiben zu können? Und das obwohl man auch im Ministerium wissen könnte, dass es Einwohnermeldeämter gibt, wo tatsächliche Daten vorliegen. Jetzt hat man einen Dienstleister, der anhand des Vornamens Vermutungen anstellt, ob die Person wohl in die Zielgruppe Ü 80 gehört. Und das obwohl die Kommunen mehrfach angeboten haben mitzuwirken, hat das Sozialministerium aber leider bis heute nicht interessiert.
Wenn es nicht so traurig wäre könnte man fast lachen über soviel Inkompetenz.
Unter normalen Umständen müsste so eine Fehlleistung personelle Konsequenzen haben, wird es wohl nicht, wir bekämpfen ja gerade eine Pandemie.
Nun, nach massiven und berechtigten Protesten, sollen wir als Kommunen wieder mal die Kohlen aus dem Feuer holen. Machen wir gern, weil es um die Sache geht. Viele Bürgermeister und Landräte werden ihren großen Ärger deshalb jetzt erstmal runterschlucken. Und die Generation Ü80 hat ein Recht darauf, dass wir sie mit allem was wir haben unterstützen.
Deshalb haben Landkreise wie Vechta die Dinge schon in Hand genommen und auch wir in Winsen arbeiten bereits vor. Wir wollen in der nächsten Woche ebenfalls alle über 80jährigen anschreiben und unsere Unterstützung anbieten. Dafür werden wir auch so genannte „Impfpaten“ suchen, die denjenigen Senioren hilfreich zur Seite stehen, die keine Unterstützung aus der Familie oder von engen Freunden haben, um die Anmeldung und das Drumherum zu organisieren. Weil wir zusammen halten wollen. Wir werden in der nächsten Woche über alle weiteren Dinge informieren. Also: Trotz allem Ärger, wenn mal schief läuft: Weiter gehts.
Der Winsener Bürgermeister André Wiese, Quelle
Man kann dem Staat beim Versagen zugucken. Und das in einem Ausmaß, dass selbst mich überrascht, obwohl ich jemand bin, der sich selten Illusionen über die Leistungsfähigkeit des Staates macht.
Aber hier ist sicherlich sehr häufig das Problem auch nicht die eigentliche Leistungsfähigkeit, sondern sehr klar die Kompetenz handelnder Personen.
Die leben offenbar hinterm Mond und sind es schlicht nicht gewohnt, lösungsorientiert zu arbeiten. Ich habe von der Materie wirklich gar keine Ahnung aber statt – als Ministerium wohlgemerkt – Adressdaten von windigen Dienstleistern einzukaufen, wäre mein erster Ansatz gewesen, das über Krankenkassen oder eben Kommunen zu machen. Letzteres funktioniert offenbar nachweislich und ist jetzt eben der Fallback. Aber was soll sowas?
Kommen wir zu erfreulicheren Dingen. Wir schreiben die 44. Woche seit den ersten Lockdowns im letzten März und die Zahlen sind einigermaßen erfreulich.
Die absolute Zahl der im Landkreis Infizierten sinkt seit Dienstag, gestern und vorgestern im 7-Tage-Vergleich sogar sehr deutlich mit über 50 Fällen am Tag. Das führt dazu, dass die Inzidenz deutlich gesunken ist und inzwischen bei knapp unter 70 liegt, während sie vergangenen Samstag, also ziemlich genau vor einer Woche, mit 117,1 ihren bisherigen Spitzenwert erreicht hatte.
Es sind in dieser Woche auch vier Menschen gestorben, was durchaus ein nennenswerter Anstieg im Vergleich zu vorher ist. Aber es war absehbar, dass das passiert. Insgesamt muss man sagen, dass es in dieser zweiten/dritten Welle im Verhältnis deutlich weniger Tote gibt. In den letzten 11 Wochen hatten wir mehr Infizierte, als während der gesamten 1. Welle – und zwar deutlich mehr und deutlich länger und teilweise bis zu doppelt so viele. Trotzdem hat sich seit dem die Zahl der Toten etwas mehr als verdoppelt. Vielleicht kommt das dicke Ende auch jetzt erst, weil der Tod wohl immer erst so 4-6 Wochen nach Erkrankung eintritt. Sollte es da eine Weihnachtswelle gegeben haben, stünden wir da also noch vor dem Anfang. Das ist möglich aber zumindest in unserem Landkreis wenig wahrscheinlich, jedenfalls in nennenswerter Höhe.
Denn zwar haben wir im Januar einen leichten Anstieg gesehen aber der wirkt auf längere Sicht eher wie eine Stagnation.
Das wiederum ist aber eigentlich ein echtes Problem aus politischer Sicht. Stagnation ist nämlich nicht dazu geeignet, ein Ende des Lockdowns zu rechtfertigen. Und in diesen Tagen erreicht die für ihre besonders gute Infektionsfähigkeit berüchtigte Virusvariante B117 Niedersachsen, in Vechta hat es die Woche jedenfalls mehrere nachgewiesene Fälle gegeben.
Das in Kombination lässt nicht erwarten, dass irgendwer den Mut beweisen wollen könnte, den Lockdown langsam mal zu beenden, sondern er wird sehr wahrscheinlich – und wie von mir ja eigentlich auch seit Monaten erwartet – sicherlich noch einmal mehrere Wochen verlängert.
Was ebenfalls in diesen Tagen bekannt wurde: Die sehr großzügig angedachten Hilfen für die Wirtschaft, bei denen für geschlossene Betriebe oder auch nur für Restaurants mit Außer-Haus-Verkauf 75% des Umsatzes als Entschädigung in Aussicht gestellt wurden, gibt es offenbar gar nicht. Man hat erstmal bis jetzt gebraucht, um überhaupt eine Software herzustellen, um diese Hilfen zu beantragen. Das geht jetzt also. Ein Vierteljahr später, als dieses Geld eigentlich benötigt wird. Allerdings kann es diese Hilfen so nicht geben, weil das EU-rechtlich eine illegale Beihilfe wäre.
Auch das wieder ein Highlight und ein grandioses Beispiel dafür, wie unser Staat sich alle mühe gibt, sich selbst zu diskreditieren.
In der Krise ist der Staat zu fast gar nichts zu gebrauchen.