In diesen Minuten wird die Vorstellung der Corona-Warn-App live übertragen.
Erwartungsgemäß tun sich rund um die App menschliche abgründe in den sozialen Medien auf.
Sie würde über GPS die Leute tracken wollen (obwohl sie GPS weder nutzt, noch Zugriff darauf anfordert). Warum will die App denn bitte Zugriff auf die Kamera (will sie nur, wenn du nen Code von Deinem Corona-Test scannen willst – tipp ihn halt ein, wenn dir das lieber ist). Um Himmels Willen, die ganze Zeit Bluetooth eingeschaltet lassen, das hält ja kein Akku aus (sagen ausschließlich Leute, die Bluetooth offenbar gar nicht nutzen, sonst wüssten sie, dass das praktisch keinen Akku saugt…).
Das und Vieles mehr kann man dazu lesen. Ein Kommentar dümmer als der nächste.
Ich will gar nicht behaupten, dass man keine Kritik an der konkreten App oder der Idee dahinter im Allgemeinen oder möglichen Sicherheitsrisiken im Besonderen üben dürfte. Und tatsächlich gibt es durchaus hier und da Kritik, die man inhaltlich halbwegs für voll nehmen darf.
Allerdings eben keine solche, die den Eindruck erweckt, dass theoretische minimale Risiken auch nur ansatzweise eine solche Verweigerungshaltung rechtfertigen würden, die mancher an den Tag legt.
Ja, jeder soll selber entscheiden, ob er diese App nutzt. Aber Leute, die sie mit der kreativen Begründung, dass sie dann möglicherweise in Quarantäne geraten könnten, weil mal der falsche an einem vorbeigelaufen wäre, ihre Nutzung nicht nur für sich ablehnen (was von mir aus auch mit der dümmsten Begründung irgendwo in Ordnung ginge), sondern auch öffentlich dafür werben, das sein zu lassen (was definitiv nicht mehr ganz so in Ordnung geht und kritisiert gehört), outen sich doch letztendlich nur als menschenverachtende Egoisten.
Es kursiert aber zum Beispiel auch die folgende, fiktive Geschichte von „Peter Petersen“ auf Facebook, die ganz gut zurecht rückt, was von diesen ganzen Paranoikern zu halten ist:
Peter Petersen auf Facebook:
„Ich lasse mich doch nicht verarschen!!1!
Diese Corona-App werde ich niemals installieren!
ICH LASSE MICH NICHT AUSSPIONIERN!!“
Facebook so:
Oh, Peter Petersen,
35-40Jahre alt,
männlich,
wohnt in „Sydney“,
loggt sich normalerweise in Wuppertal und Umgebung ein,
politisch eher konservativ,
katholisch,
798 Kontakte ersten Grades,
6712494 Kontakte zweiten Grades,
Name vermutlich korrekt, da in den Adressbüchern der Freunde so vorhanden,
hat 2 Kinder mit „Petra Petersen“ die in 2 Monaten Geburtstag hat und sich aktuell in einer Beziehung mit „Lurchi Mommsen“ befindet,
mag Musik von den Flippers, Andrea Berg und Mötley Crüe, hat gestern Abend auf Netflix „Suits“ geschaut,
war danach auf Pornhub, Stern, und TAZ um Artikel über Reisen zu lesen,
bevorzugt Reiseziele in Bergregionen,
hat in 4 Tagen Geburtstag,
kauft eher impulsiv und online,
interessiert sich für hochpreisige Marken,
hat BMW, Ferrari und Glashütte Uhren abonniert, Haushaltsnettoeinkommen ca 30-50.000 Euro,
hat 1999 an der Kalle Grabowski Universität Unna einen Abschluss in Literaturwissenschaft gemacht,
wohnt weit entfernt von den Eltern,
hat in letzten 4 Jahren mindestens 4 Beziehungen gehabt,
ist aktuell Single,
wird vermutlich demnächst ein Auto der Marken Mazda oder Honda kaufen,
ist technisch interessiert, aber eher skeptisch,
gilt als „late adopter“,
hat gerade einen neuen Post verfasst:
//Ich lasse mich doch nicht verarschen!!1!
Diese Corona-App werde ich niemals installieren!
ICH LASSE MICH NICHT AUSSPIONIERN!!//
Geschrieben mit der Facebook App Version X.X
in der Nähe Marktplatz Wuppertal,
auf einem Apple Iphone X, 256GB,
IOS ältere Version,
Gerätesprache Deutsch
Akkustand 23%
Netzbetreiber Telekom
Das speicher ich gleich mal auf meinen Servern in den USA, Deutschland, Norwegen, Dänemark, ………
Völlig unbeteiligte Corona-App von Betatester,
auch auf dem Marktplatz in Wuppertal:
Oh. 221h273bd77 hat gerade 5 Minuten unter 2m entfernt von 23882bdw810 gestanden.
Wenn in zwei Wochen keiner von denen gemeldet hat, dass positiv getestet wurde, lösche ich diese Info wieder.
Sonst bekommt die jeweils andere ID eine
Nachricht, dass ein Test empfohlen wird.
Als braves, absolut regierungstreues deutsches Schlafschaf, das ich bekanntlich bin, habe ich mir die App übrigens schon heute morgen beim Aufstehen installiert.
Gestern zum Einschlafen habe ich mir noch dieses zweieinhalbstündige Interview mit zwei Entwicklern der App gegeben. Ich weiß nicht genau, wie viel ich davon gehört habe, ich bin wirklich irgendwann eingeschlafen aber ich glaube, man muss den ganzen Entstehungsprozess auch nicht unbedingt detailliert erklärt kriegen, um dem ganzen Projekt das nötige Vertrauen entgegen zu bringen.
Eigentlich ist doch klar, warum jeder halbwegs vernünftige Mensch sich verdammt noch mal diese App holen will: Weil sie hilft, Infektionen zu ermitteln, die bisher komplett unter dem Radar laufen. Was wiederum dafür sorgt, dass wir keine Freunde treffen dürfen, dass wir maskiert einkaufen gehen sollen, dass wir tausende von Existenzen im Gastronomiegewerbe, bei Künstlern und vielen anderen Branchen ruinieren. Und das wir uns seit Monatem allem berauben, was unser Leben eigentlich erst lebenswert macht, einfach, weil dieses Scheißvirus sich ohne all diese Maßnahmen dermaßen heftig ausbreitet, dass es unser Gesundheitssystem sprengen würde.
Die App hilft dabei, die Pandemie in den Griff zu kriegen. Nicht mehr und nicht weniger. Und wir veranstalten eine ganze Menge Bullshit, der wesentlich aufwendiger und fragwürdiger ist, aber womöglich viel weniger bringt.
Von daher: Installieren statt maulen – und die Deppen dieser Welt durch rapide steigende Downloadzahlen auf Zinne bringen macht doch irgendwo auch Spaß.
PS: Für die korrekte Bindestrichschreibweise gibt es von mir übrigens eine 1+ mit Sternchen. Bindestriche, die Google im Zweifel echt schnurzpiepe sind, werden leider viel zu oft dem Zeitgeist geopfert, gehören aber hier nunmal einfach hin. Auch wenn FDP-MdB Höferlin das sicherlich nicht hundertprozentig ernstgemeint) irgendwie anders zu sehen scheint.