Corona-Tagebuch: Alles anders

Diverse meiner Lieblingspodcasts bringen jetzt tägliche Sonderfolgen. Ich glaube, um einen „Corona-Koller“ zu verhindern oder so. Wer kann, der hängt eben jetzt zuhause rum und auch wenn man raus darf, beschränkt man das ja besser auf ein Mindestmaß. Da kann etwas Ablenkung schon helfen.

Aber ohnehin gibt es wohl unterschiedlichste Methoden, mit der Situation umzugehen.

Es laufen zum Beispiel immer noch Leute rum, die alles runterspielen. Die so tun, als sei das alles ein schlechter Scherz der Bundesregierung, um Deutschland in eine Diktatur zu verwandeln. Das meinen die Ernst! Und wenn man ihnen widerspricht, dann rasten sie komplett aus und beschimpfen einen aufs Übelste.

Eine andere Gruppe ignoriert das einfach und genießt die freie Zeit. Vorzugsweise, in dem man sich mit allen Freunden im Park trifft oder so…

Diese Gruppen sind es, die wiederum eine andere Sorte der Krisenbegegner auf den Plan ruft: Die Leute, die sich – ernsthaft! – Ausgangssperren wünschen. Das sind gleichzeitig meistens Leute, die null Ahnung haben, was das eventuell bedeutet und die sich das so harmlos vorstellen, als wäre es quasi die aktuelle Situation, nur mit mehr Polizei auf der Straße. Diese Gruppe ist für mich die dümmste und gefährlichste, weil sie offenbar bereit sind, der Krise noch den letzten Rest Zivilisation zu opfern, den wir uns bisher bewahrt haben. Musterbeispiel dafür: Der Typ, der den Stadtrat, der sich gestern in verknappter Besetzung und mit viel Sicherheitsabstand zu einer Blitz-Sitzung traf, um unbedingt erforderliche Dinge zu regeln (beispielsweise die Benennung diverser Feuerwehrbrandmeister), noch meinte kritisieren zu müssen. Kann doch nicht angehen, dass die Demokratie trotz Corona immer noch funktioniert!

Erspart geblieben, bzw. ausgefallen sind für mich bisher ein Kreisparteitag und ein Bezirksparteitag. Heute geht mir zumindest bis auf Weiteres der erste Arbeitsauftrag flöten. Gegen das, was andere so zu erdulden haben, ist das wohl zu verschmerzen. Wenn diese Geschichte jetzt Monate oder Jahre so weitergeht, dann haben wir anschließend keine nennenswerte Gastronomie mehr, keinen Kulturbetrieb und wer weiß wie viele andere Unternehmen daran auch noch kaputtgehen werden.

Im Kleinen fragt man sich, ob man eigentlich seine eigene Oma noch mal jemals wiedersehen wird, besuchen ist jawohl eher nicht momentan. Im Großen bedrückt einen gleichzeitig das dumme Gefühl, dass selbst das irgendwie ein nebensächliches Problem zu sein scheint. Die ganze Welt befindet sich in einer Extremsituation. Man hinterfragt alles: Muss dieses sein oder jenes, muss ich da wirklich hin, kann ich das rechtfertigen?

Immer noch gibt es Idioten, die Toilettenpapier horten. Warum die größte Sorge der Leute ist, dass ihnen dieses ausgehen könnte, versuche ich seit Wochen zu verstehen aber es will mir nicht gelingen. Ich habe aktuell einen Vorrat von sechseinhalb Rollen. Das langt normalerweise für mich alleine für Monate. Es gibt aber auch keine Knappheit oder so, es ist immer wieder welches da. Dann fallen die Leute zwar wie Heuschrecken drüber her und ne halbe Stunde später ist es wieder ausverkauft aber irgendwo wird man immer welches finden. Es gibt also absolut gar keinen Grund für dieses seltsame Verhalten aber irgendwie ist es nicht totzukriegen. Ginge es um lebensnotwendige Dinge wie Nahrung, wäre das Verhalten zwar auch irrational aber ich könnte es zumindest ansatzweise verstehen. Aber Klopapier? Was stimmt nicht mit den Leuten? Sicherlich, es würde mich auch stören und gewaltig im Komfort einschränken, wenn es mir ausgehen würde. Aber angesichts einer solchen Krise wäre ja nicht mal dieser sehr unwahrscheinliche Fall irgendwas, das besonders hervorstechen würde.

Es macht jetzt an dieser ganzen seltsamen Situation zwar überhaupt nichts besser. Aber als auch geschichtlich sehr interessierter Mensch fasziniert mich natürlich, dass wir es hier mit einer Extremsituation zu tun haben, wie sie eigentlich nur alle paar hundert Jahre mal auftritt. Die Bundeskanzlerin spricht von der größten Herausforderung seit dem Weltkrieg, was in diesem Fall niemandem übertrieben vorkommt. Wobei die echten Herausforderungen – und das macht die Situation so bedrückend – offensichtlich noch vor uns liegen, denn aktuell tut das alles kaum weh, es wirbelt lediglich unser aller Alltag gehörig durcheinander und viele Veranstaltungen, auf die man sich gefreut hat, fallen aus. Alles zu verschmerzen. Aber wenn das jetzt Monate oder Jahre so geht? Kann sich keiner vorstellen, wie das laufen soll.

Eine historische Zäsur nie gekannten Ausmaßes. Die Menschheit hatte natürlich auch früher schon mit Seuchen zu kämpfen. Aber nie in einer derart vernetzten Welt, nie mit den heutigen technischen Mitteln, nie mit soviel Bewusstsein für die Seuche und ihre Ursachen und wie man sie eindämmen kann.

Wenn Ihr mich in 30 Jahren in einer mittelmäßigen N24-Doku über meine Erfahrungen mit der großen Klopapierkrise 2020 reden hören solltet, so sei hiermit versichert, dass ich mich trotz aller gedrückter Stimmung und Unsicherheit irgendwie jetzt schon ein bisschen darauf freue… Der geschichtlich interessierte Mensch in mir blickt die letzten Tage und Wochen dann doch ziemlich fasziniert auf die Welt.

Doch, im Ernst: Seit knapp zwei Wochen fühlt es sich an, als hätten wir jeden Tag 11. September. Der war das einzige vergleichbare Ereignis, das ich bewusst miterlebt habe – beim Mauerfall war ich nunmal erst 9 Jahre alt.