Wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen, müssen wir die Menschen sensibilisieren, dass DRINNEN die Gefahr lauert. In den Wohnungen, in den Büros, in den Klassenräumen, in Wohnanlagen und in Betreuungseinrichtungen müssen Maßnahmen ergriffen werden. Die andauernden Debatten über das Flanieren auf Flusspromenaden, den Aufenthalt in Biergärten, das Joggen oder das Radfahren haben sich längst als kontraproduktiv erwiesen. Wenn unseren Bürgerinnen und Bürgern alle Formen zwischenmenschlicher Kontakte als gefährlich vermittelt werden, verstärken wir paradoxerweise die überall erkennbare Pandemiemüdigkeit. Nichts stumpft uns Menschen bekanntlich mehr ab als ein permanenter Alarmzustand.
Aus: Offener Brief mehrerer Mitglieder der „Gesellschaft für Aerosolforschung“ an die Bundesregierung sowie die Regierungen der Länder. Den ganzen Brief gibt es hier.
Gerade der letzte Satz ist meiner Meinung nach das, was uns diesen neverending Lockdown grade versaut. Einen Monat hält man sich gewissenhaft an alles und hinterfragt auch nicht weiter den Sinn, weil das in dieser Pandemie sowieso nie zu irgendwas führt und dauernd neue Erkenntnisse kommen, die manche Regelungen als sinnlos aussehen lassen – das kann aber drei Wochen später auch wieder anders aussehen.
Den zweiten Monat beendet man seine soziale Isolation vielleicht doch mal und trifft sich regelkonform mal mit jemandem. Nicht täglich, nicht mal wöchentlich. Nur ab und zu.
Ab dem dritten Monat setzt Konfusion ein und man fragt sich langsam aber sicher dann doch, wie lange dass denn eigentlich noch so weitergehen soll, wo es doch seinerzeit für 4-6 Wochen angekündigt gewesen ist und jetzt bald doppelt so lange andauert. Man blickt auf die Zahlen und stellt fest, dass diese sich gänzlich unbeeindruckt davon zeigen, dass man sich fast vollständig sozial isoliert hat.
Wir sind jetzt in Monat fünf und damit in einer Phase, in der jeder begriffen hat, dass die Wirkung des Lockdowns selbst zu seiner Anfangsphase beschränkt war. Das ist etwas, das einem eigentlich auch die Wissenschaft die ganze Zeit gesagt hat: So etwas funktioniert nur begrenzte Zeit. Und ab einem Gewissen Zeitpunkt immer weniger, weil die Regeln in einer derartigen Strenge über so lange Zeit nicht ernstgenommen werden und vermutlich, weil wir Menschen sind, auch nicht ernstgenommen werden können.
Wir suchen uns Ventile. Nicht jeder tut das. Aber eine steigende Zahl von Menschen.
Niemand kann das verhindern und auch Verbote ändern daran letztlich nichts.
Was aber insbesondere das Verbot, sich im Freien mit Abstand in vernünftigem Rahmen mit zwei oder drei Personen zu treffen bewirkt ist, dass die Leute solche Treffen eben nicht im Freien, wo es jemand mitbekommen könnte, veranstalten, sondern drinnen.
Weil die Regierung sich weigert, zur Kenntnis zu nehmen, wie Menschen sich verhalten, produziert sie mit ihren Draußen-treff-Verboten vermutlich zehntausende vermeidbare Infektionen und zahllose Tote, sofern der Lockdown auch noch für den Rest des Jahres so weitergeht.
Wie krank im Kopf die Berliner Regelerfinder sind, zeigt der erste Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetzes, mit dem die Bundesregierung die Kontrolle an sich reißen möchte, damit die Länder entmachtet werden.
Denn darin hieß es, dass Ausgangssperren bedeuten würden, dass man nicht mal mehr die Wohnung verlassen dürfen sollte. Also nicht mal das eigene Grundstück oder in Mehrfamilienhäusern möglicherweise den Hausflur hätte man dann ab 21 Uhr betreten dürfen.
Die „Verteidigung“ des Regierungsentwurf sieht übrigens beispielsweise so aus (der Mensch ist CDU-MdB):
Ich wäre dafür, allen Mitgliedern der CDU-Bundestagsfraktion zur Auflage zu machen, dass sie nur noch zwischen 21 und 5 Uhr joggen gehen dürfen. Möglicherweise würde das helfen, ihnen klar zu machen, warum Menschen derartige Vorschriften je nach Tagesablauf einfach nicht geil finden und so etwas sehr klar zu den Dingen gehört, die weder Parlament noch Regierung jemals versuchen dürfen, zu regieren.
Der Tweet von Johannes Steiniger steht aber symptomatisch für das Problem der Politik vor allem der CDU und der SPD in dieser Pandemie: Die Mangelnde Phantasie für die Tatsache, dass es einfach unterschiedliche Formen gibt, seinen Tag zu verbringen, dass es Arbeitszeiten gibt, die nicht 9-5 verlaufen, das es Menschen gibt, die Dinge tun, die vielleicht 99% der übrigen Menschen gar nicht oder zu einem anderen Zeitpunkt tun und dass diese Abweichungen in Summe auch keine unbedeutende Minderheit sind, sondern relevant.
Ich erkenne da ein gewisses Muster, das mich an die dummen Argumente der CDU zur Massenüberwachung erinnert: Wer nichts zu verbergen hat… und so weiter. Weil es vielleicht dem durchschnittlichen CDU-Hansel egal ist, wenn der Staat mal guckt, mit wem er so telefoniert hat und wo er sich so rumtreibt, dem Whistleblower oder dem chinesischen Oppositionellen auf Europatour aber das Leben kosten kann, wenn sein Endgerät überwacht wird.
Das ist nicht nur schlechter politischer Stil, sondern regelrecht bürgerfeindlich. Und so ist das auch mit der Denkweise zu den Corona-Regeln, wie sie uns die Bundesregierung immer wieder präsentiert.
Und so verscherzt man es sich immer mehr auch mit denen, die (bisher noch) vollständig einsehen, worum es geht, warum es wichtig ist, die Infektionszahlen zu senken und so weiter und so fort.
Die oben genannten Aerosolforscher geben mit ihren konkreten Vorschlägen aus dem gleichen offenen Brief ein gutes Beispiel dafür, wie intelligente Pandemiebekämpfung in Ansätzen aussehen könnte. Paraphrasiert und hervorgehoben von mir:
- Sowohl Treffen als auch den Aufenthalt in haushaltsfremden Innenräumen weitestgehend vermeiden.
- Treffen in Innenräumen grundsätzlich so kurz wie möglich halten.
- Häufig Stoß- und Querlüften, um Bedingungen wie im Freien zu schaffen.
- Masken drinnen statt zur Show draußen und sie vor allem dichtsitzend tragen
- Luftreiniger und Filter konsequent überall installieren, wo Menschen sich länger in geschlossenen Räumen aufhalten müssen.
Die Regierung macht konsequent von allem das Gegenteil.
Sie „motiviert“ durch ihre Draußenverbote dazu, sich heimlich in Innenräumen zu treffen und wenn man schon mal da ist, wird man einen Teufel tun, das so kurz wie möglich zu halten, denn man pfeift ja sowieso grade auf die Regeln. Man wird sich dann auch nicht großartig Gedanken um Lüftung machen.
Nach wie vor gibt es im Freien massig Maskenpflichten, die werden eher ausgeweitet als wieder einkassiert. Gut, das alleine wird zugegebenermaßen eher schaden als nützen. Es sei denn, dass Leute sich einreden, sie würden schon etwas gegen die Pandemie tun, wenn sie zumindest draußen Masken trügen – und auch hier wieder ihr Hirn abschalten und es drinnen deswegen weniger tun, wenn es erlaubt ist.
Die flächendeckende Ausstattung zum Beispiel von Schulen mit Luftreinigern ist etwas, zu dem weder Bundes- noch Landesregierung jemals irgendeine positive Aussage getätigt hätten. Ein Versäumnis, dass mich ähnlich ärgert wie die Verschleppung unserer Impfungen.
Teilweise hat man auch den Eindruck, dass die wissenschaftliche Beratung von mangelhafter Qualität ist. Wie wir dem „Merkur“ heute entnehmen, hatte zum Beispiel das RKI noch am 31. März eine Inzidenz für die Zeit nach Ostern (also spätestens jetzt, wo Ostern über eine Woche vorbei ist) eine Inzidenz von über 300 für das gesamte Bundesgebiet vorhergesagt. In der Realität stehen wir bei der Hälfte. Das kann man jetzt auch nicht damit erklären, dass angeblich so viel weniger getestet worden wäre, würde ich sagen.
Und dann war da noch ne Landespressekonferenz, die ich zufällig gestern mitbekommen habe und in der mal gefragt wurde, was das eigentlich soll, dass die Feuerwehren in Niedersachsen immer noch nicht priorisiert geimpft werden. Es wurde ein Beispiel genannt, wo praktisch eine ganze Wehr in Quarantäne war und es absolut keinen Plan B gab, wie man denn in so einem Fall einen Einsatz hätte fahren dürfen.
Antwort der Landesregierung: Der Bund hat die Feuerwehren in die unterste Priorität gestuft und das Land findet Feuerwehr total wichtig, belässt die Einstufung aber so, wie der Bund die vorgibt.
Man argumentierte, dass aktuell immer noch Menschen geimpft werden würden, die ohne Impfung höchstwahrscheinlich sterben könnten und man das für Priorität hielte.
Diese Aussagen enthalten verschiedene offensichtliche Lügen. Die eine ist, dass die Landesregierung Feuerwehr für so wichtig hält, wie sie behauptet. Die andere Lüge ist, dass nur Menschen geimpft werden, deren Leben bedroht ist. Denn es wird ja seit Monaten Klinikpersonal egal welchen Alters durchgeimpft und auch alle Lehrer und Erzieher und zumindest in Hamburg auch die gesamte Berufsfeuerwehr.
Und ich finde das Impfen all dieser Personengruppen überhaupt nicht falsch. Aber wenn man das so macht, dann kann man doch nicht mit einer Lebensgefahr als angeblicher zwangsläufiger Bedingung wedeln und damit begründen, dass deswegen Feuerwehrleute einfach grade nicht dazugehören.
Zumindest für den Klinikbereich lasse ich auch noch gelten, dass die Leute dort so verdammt notwendig sind, dass wir uns gesellschaftlich ihren Ausfall gar nicht leisten könnten. Das sieht bei Kitas und Schulen schon wieder anders aus, da geht keiner Hops, wenn mal drei Tage keine Schule ist.
Wenn ne Feuerwehr keinen Einsatz fahren kann, weil die Hälfte in Quarantäne ist, sterben aber durchaus mal Menschen.
Zu den lokalen Infektionszahlen ist festzustellen, dass wir da gestern einen nicht unerheblichen Anstieg feststellen können. Die Inzidenz ist auf 72 gestiegen. Die Zahlen von heute wären dazu sicher spannend aber es ist jetzt 14.20 Uhr und sie sind einfach immer noch nicht da. Naja. Mal gucken – spätestens morgen werde ich mein Spreadsheet dahingehend aktualisiert haben.
Und eine weitere fabelhafte Folge The Scotch Enlightenment aufgenommen werde ich, bzw. werden wir dann übrigens auch wieder haben.