Man kann zwei Jahrzehnte in einer Partei engagiert sein und trotzdem erst dann entdecken, wie es ist, sich für irgendein Mandat ernsthaft zur Wahl zu stellen. Auf Kommunalwahllisten stand ich immer, doch erst im letzten Jahr wollte ich ernsthaft gewählt werden. Das hat leider nicht geklappt – aber es hat dazu geführt, dass ich mehr wollte.
Und so kam es, dass ich mich in diesem Jahr um ein Landtagsmandat bewarb. Das war eine in vielerlei Hinsicht interessante Erfahrung. Heute ist Wahltag und auch ohne Kenntnis des Ergebnisses möchte ich ein wenig Bilanz ziehen: Wie ist es, für den Landtag zu kandidieren?
Aufwendig
Bitte nicht als Jammerei missverstehen: Mir war das vorher klar und es geht auch gar nicht anders. Aber der Zeiteinsatz ist durchaus immens. Man hängt Plakate auf, bestückt Briefkästen mit Flyern, man führt durch die Gegend zu Terminen im Wahlkreis, man fährt durchs Land für Termine der Partei, man bereitet die zwei Wochen vor der Wahl praktisch dauernd die nächste Podiumsdiskussion vor, beantwortet Wahlprüfsteine oder einzelne E-Mails von Wählern, schreibt Pressemitteilungen und so weiter. Parallel bin ich auch noch Ortsvorsitzender und hatte somit auch die generelle Organisation zumindest in meiner Stadt zu erledigen. Und neben all dem hat man auch noch nen Job, Freunde und Familie. Ich hab das irgendwie auf die Reihe gekriegt, aber ich habe zum Beispiel auch keine Kinder und bin beruflich flexibel, was Arbeitszeiten betrifft. Wenn das beides anders aussähe, weiß ich nicht, wie man so eine Kandidatur stemmen will und das ist, glaube ich, ein Problem für die Demokratie. Eines für das mir jetzt auch keine Lösung einfällt, aber idealerweise sollte absolut jeder mit einem Wahlrecht sich theoretisch zur Wahl stellen können, finde ich.
Reich an Erfahrungen, die man sammeln kann
Man ist auf einmal irgendwie im Mittelpunkt und sehr viele Leute wollen was von einem wissen. Manchmal Dinge, die man selber noch gar nicht weiß und erstmal ergründen muss. Und auch die Erfahrung, dass die Leute vor Ort eine Kandidatur, bei der es nach Lage der Dinge praktisch unmöglich am Ende zu einem Mandat reichen könnte, dennoch sehr ernst nehmen, gehört zu den interessantesten – und die positivste, denn das zeigt, dass die Leute Demokratie eben doch ernster nehmen, als man manchmal das Gefühl hat. Wie es sich anfühlt, vor hunderten Menschen politische Positionen auszutauschen und zu diskutieren, ist ebenfalls eine neue Erfahrung – von Parteitagen o.ä. abgesehen, aber das ist eben auch wieder etwas anderes. Und, was man bei Podiumsdiskussionen für eine Lernkurve hinlegt: Vor der ersten ist man vielleicht doch etwas nervös, bei der zweiten fühlt es sich schon beinahe wie Routine an und bei den nachfolgenden glaubt man fast, man hätte noch nie was anderes gemacht.
Lehrreich
Nicht nur persönliche Erfahrungen macht man, sondern man lernt auch unglaublich viel. Ich weiß jetzt alles über den Kiesabbau am anderen Ende des Landkreises, wovon ich vorher höchstens vage gehört hatte. In meiner eigenen Stadt war ich im Maschinenraum des kleinen Wasserkraftwerks und habe dort alles darüber gelernt, wie das funktioniert. Und in Salzhausen habe ich mir einmal mehr erklären lassen, wie man Bier macht und wie das Kleinstbrauereibusiness momentan so aussieht.
Menschlich
Ich diskutiere online und offline leidenschaftlich und viel über Politik, immer schon. Und ich bin von Haus aus gut in der Lage, politische Positionen und Personen voneinander zu trennen, kann also durchaus auch Menschen schätzen, die völlig andere Meinungen vertreten, als ich selbst. Trotzdem war es ein überraschendes Gefühl, wie man sich so mit seinen Wettbewerbern verkumpelt. Ja, man tritt gegeneinander an. Aber gleichzeitig sind alle in der gleichen Situation und das verbindet auf bemerkenswerte Weise und man freut sich mit der Zeit sogar, den einen oder anderen auf einer Veranstaltung zu treffen. Vielleicht hatte ich auch bloß Glück, dass alle Kandidaten, selbst die von den politischen Rändern, jetzt keine totalen Unsympathen waren und es generell immer sachlich und fair zuging, zumindest unter den Kandidaten. Den Demokraten in mir hat das regelrecht gerührt.
Motivierend
Vor meiner Kandidatur hätte ich nicht unbedingt gedacht, dass so eine Kandidatur Bock auf weitere Kandidaturen machen kann. Obwohl ich ja eigentlich genau diese Erfahrung schon im Kommunalwahlkampf machen konnte. Aber Kommunalwahlen sind eben vom Ablauf der Kampagne wieder komplett anders. Jetzt, eine halbe Stunde, bevor die Wahllokale schließen, finde ich, dass ich durchaus wieder für irgendwas kandidieren könnte und hätte da richtig Lust zu – wohlgemerkt ganz egal, wie das Ergebnis denn nun aussieht.
Fazit
Ich habe mich hier auf die positiven Eindrücke beschränkt. Das sollte nicht drüber hinwegtäuschen, dass es auch nicht nur schön war, sondern es gibt durchaus Dinge, die ich kritisieren würde, teils auch kritisiert habe und auch Fehler, die ich selbst gemacht habe und die ich künftig verhindern werde.
Aber unter dem Strich hat sich das Kandidieren in vielerlei Hinsicht sehr gelohnt und ich bin froh, dass ichs gemacht habe. Jetzt ist es exakt 17.30 Uhr und für mich wird es Zeit, den Stream anzuschmeißen.