Methoden der Shitshow

Die AFD spielt nicht mit sauberen Mitteln. Das bekommt allerdings nur mit, wer sich außerhalb der sozialen Medien mit Politik auseinandersetzt. Drei Methoden, mit denen die AFD unser demokratisches System für ihre Zwecke missbraucht, stelle ich hier einmal vor.

Die Betonung liegt dabei auf dem Missbrauch, denn dass sie unsere Demokratie in der Weise nutzt, dass sie sich eben wählen lässt, ist zwar wenig appetitlich, aber aus rein demokratischer Sicht überhaupt nicht zu beanstanden und nicht das Problem, um das es hier gehen soll.

Musteranträge, die bundesweit in die kommunalen Parlamente eingebracht werden

Na klar: Kein Missbrauch im engeren Sinn und die AFD ist auch nicht die einzige Partei, die sowas macht. Prinzipiell spräche auch überhaupt nichts dagegen, sich die best-practices der eigenen Partei anzuschauen und eben auch anderswo voranzutreiben. Der Unterschied ist, dass die AFD hier nicht auf ernsthafte politische Anliegen abzielt, sondern zum Beispiel das Gendern einer Verwaltung aufs Korn nimmt und so tut, als wäre das ein relevantes politisches Thema. Ja klar: Es kann und darf für manche ein relevantes politisches Thema sein.

Dennoch stellt sich die Frage, ob solche Anträge wirklich hundertfach landauf landab gestellt werden würden, müssten die Leute vor Ort sie selber verfassen und sich selber Argumente dazu ausdenken. Der Missbrauch besteht hier also darin, dass das Antragsrecht dafür genutzt wird, allgemeine Positionen in die Öffentlichkeit zu rücken, auch wenn das mit den Gegebenheiten vor Ort nichts zu tun hat. Im genannten Beispiel heben AFD-Kommunalpolitiker auf irgendwelche Ratschläge von Rechtschreibräten und Sprachwissenschaftler ab, sie erklären also einfach, was sie gegen Gendersprech so haben.

Was ja legitim ist – nur mit Kommunalpolitik herzlich wenig zu tun hat. Auch wenn das Ziel ist, der jeweiligen Verwaltung entsprechende Sprachverbote aufzudrücken. Was ehrlich gesagt ziemlich zickig ist und eigentlich kein Inhalt von Kommunalpolitik sein sollte. Dennoch zwingt die AFD den übrigen Ehrenamtlern entsprechende Debatten auf, so dass dann Zeit fehlt, sich um relevante Dinge zu kümmern.

Diese Praxis ist das bei weitem harmloseste Missbrauchsbeispiel in dieser Sammlung und wäre für sich genommen kaum eine Erwähnung wert. Sie rundet aber das Bild ab und wird daher hier genannt. Der Fairness halber möchte ich darauf hinweisen, dass die AFD sich diese Methode nach meinem Eindruck von den Grünen abgeguckt haben dürfte, die zum Beispiel alle kommunalen Gremien vor einigen Jahren mit sinnfreien Debatten um einen unbedingt sofort auszurufenden „Klimanotstand“ (der reine Symbolpanik gewesen wäre und auch so gemeint war) zu nerven.

Einschüchterung mittels Staatsschutz

Die AFD lebt ironischerweise davon, dass sehr viele ihrer Wähler sie nach wie vor für nicht rechtsextrem halten. Sie wird tatsächlich von Leuten gewählt, die eine rechtsextreme Partei nicht wählen möchten – und die AFD tut viel dafür, dass sich ihre Wähler weiterhin einreden können, keine rechtsextreme Partei zu wählen. Sie hetzt zum Beispiel ehrenamtlichen Lokalpolitikern den Staatsschutz auf den Hals, wenn die sie verbal irgendwie in die Nähe des Rechtsextremismus rücken. Was relativ substanzlos ist. Der Staatsschutz muss dem zwar nachgehen, mehr passiert aber halt auch nicht. Was aber ein juristisch vielleicht nicht großartig bewanderter Lokalpolitiker dabei lernt ist, dass er beim nächsten Mal anders formuliert, wenn sich so ein Blödsinn nicht wiederholen sollte.

Auf diese Weise instrumentalisiert die AFD rechtsstaatliche Institutionen, die eigentlich dazu da sind, die Demokratie und die gewählten Vertreter der Bürger vor Übergriffen zu schützen, für ihre Zwecke. Sie hat dieses Theater etliche Male durchgezogen, bundesweit verstreut, sodass annähernd jeder Kommunalpolitiker von so einem Vorgang gehört haben dürfte – und mindestens unbewusst entsprechend konditioniert wurde, auf seine Wortwahl zu achten oder es mit öffentlicher Kritik an der AFD in dieser Richtung lieber gleich seinzulassen.

Direkte Sabotage am Parlamentarismus per fingiertem Hammelsprung

Eine der widerwärtigsten Praktiken der AFD beobachte ich immer wieder im Bundestag. Dort gibt es das Instrument des Hammelsprungs, den eine Fraktion herbeiführen kann, um eine Abstimmung auszuzählen. Normalerweise genügt es, wenn das Präsidium die erhobenen Hände durchzählt und dann das Ergebnis verkündet. Wird aber ein Hammelsprung erbeten, verlassen alle Abgeordneten den Saal. Sie sollen dann durch eine von drei Türen wieder eintreten. Diese Türen repräsentieren „ja“, „nein“ und „Enthaltung“ und an diesen Türen stehen Saaldiener, die die durchtretenden Abgeordneten zählen. Man hat also am Ende ein einwandfrei gemessenes Ergebnis einer Abstimmung, was durch das Händeheben durchaus auch mal nicht gegeben sein kann – jedenfalls aus Sicht der Abgeordneten nicht.

Es gibt nun aber ein Quorum, eine Mindestzahl von Abgeordneten, die an einer Abstimmung teilnehmen müssen, damit sie überhaupt gilt. Wird dieses Quorum unterschritten, ist eine Sitzung schlicht nicht beschlussfähig.

Das Narrativ, dass AFD-Anhänger gerne über die demokratischen Parteien verbreiten und auch selbst glauben, ist ja, dass diese sich sowieso um nichts kümmerten und ihren Job überhaupt nicht ernstnähmen. Dass das Quatsch ist, weiß jeder, der gelegentlich direkten Kontakt mit Abgeordneten hat und sich mit ihnen austauscht – nur tut das ja leider kaum jemand.

Die AFD beantragt also derartige Hammelsprünge. Und indem sie selbst, im Gegensatz zu allen anderen, den Saal nicht nur verlässt, sondern anschließend einfach gar nicht wieder reinkommt, führt sie als selbsterfüllende Prophezeihung genau das herbei, was sie anschließend kritisiert: Das Parlament ist wegen zu weniger anwesender Abgeordneter nicht beschlussfähig, die Sitzung wird abgebrochen, Beschlüsse nicht gefasst, Zeit wird verloren und der parlamentarische Betrieb wird effektiv sabotiert.

Das Pressevertreter die Beteiligten mit dieser Masche nicht konfrontieren, ist ärgerlich und mir ein echtes Rätsel. Aber wahrscheinlich ist im zeitgenössischen Häppchenjournalismus einfach zu schwierig, zu erklären, was hier eigentlich läuft.

Zugegebenermaßen ist diese Masche seltener geworden. Vermutlich haben die demokratischen Parteien funktionierende Gegenmaßnahmen ergriffen. Beispielsweise, indem hinreichend Abgeordnete ihre Termine so planen, dass sie bei Abstimmungen in ausreichender Zahl wenigstens in der Nähe des Plenarsaals sind, sodass sie eine Beschlussunfähigkeit im Notfall eben dadurch abwenden können.

Denn bei den meisten Sitzungen sind üblicherweise lediglich diejenigen Abgeordeten wirklich anwesend, die mit dem jeweiligen Thema befasst auch sind. Da die Zusammensetzung der Ausschüsse von den Mehrheitsverhältnissen her der des Bundestages entspricht, ändert die absolute Zahl ohnehin nichts an den Ergebnissen. Diese Praxis ermöglicht dem Parlament ein effizienteres Arbeiten – und genau das nutzt die AFD aus, um die Arbeit des Parlamentes kaputtzumachen.

Shitshow statt Parlamentarismus: Gestellte vollständige Mannstärke

Das gleiche Narrativ bedient die AFD, wenn sie sich einfach eine halbe Stunde vor Sitzungsbeginn mit nahezu all ihren Abgeordneten im Plenarsaal versammelt, um ein paar Selfies zu machen – bei denen man sehr deutlich die logischerweise annähernd leeren Sitzplätze der demokratischen Fraktionen sieht. Die Information über den Zeitpunkt des Fotos wird dabei gerne weggelassen.

Auch diese Praxis ist seltener geworden, wahrscheinlich, weil das auf dauer dann auch langweilig wird. Als Methode dennoch perfide und klar gegen die Demokratie gerichtet. Einen belegenden Link dazu konnte ich leider nicht finden.

Plenarreden für Instagram statt zur Sache

Wenn man, wie ich, gelegentlich Plenarsitzungen und Debatten verfolgt, fragt man sich nach Auftritten von AFD-Abgeordneten immer wieder, auf welchem Planeten die eigentlich leben. Der Inhalt schweift oft völlig vom Thema ab. Es gelingt AFD-Abgeordneten nur selten, eine Rede zu welchem Thema auch immer zu halten, in der sie nicht irgendwie einen Dreh finden, warum „der Ausländer“ an allem Schuld sei. Es wird auf regelmäßig echter Quatsch erzählt, also richtiggehend gelogen. Dass es so nicht ist, ist leicht zu beweisen, darauf weisen dann auch Abgeordnete anderer Parteien gerne direkt im Anschluss hin.

Nur helfen weder Belege noch Hinweise der Demokraten, weil die Adressaten der AFD-Reden nicht die Parlamentarier, nicht mal die die Debatten verfolgenden Journalisten und ernsthaft politisch Interessierten sind.

Die Reden werden für das pure AFD-Publikum konzipiert und gehalten. Dem werden sie entweder als Ausschnitte oder in voller Länge (aber natürlich ohne richtigstellende Entgegnungen der Demokraten im Anschluss) präsentiert. Und zwar auf Tiktok, Instagram, Facebook, Telegram und so weiter. Und die Empfänger dieser AFD-Show interessieren sich logischerweise einen Scheiß, ob das stimmt, weil sie es einfach gerne glauben wollen und es ja so schön in ihr Weltbild passt.

Die AFD möchte meistens gar nicht ernsthaft über die Sache diskutieren, weil ihr Publikum sich für die demokratische Debatte gar nicht interessiert und sie das einfach nicht nötig hat.

Fazit

Was all diese Methoden gemeinsam haben, ist, dass sie deutlich machen, dass es der AFD darum geht, wie sie öffentlich dasteht. Sie zieht eine Show für die Öffentlichkeit ab. Um das, was in den Parlamenten passiert, geht es ihr bei alldem überhaupt nicht – einfach, weil sie weiß, dass davon sowieso niemand etwas mitbekommt.

Selbst, wem AFD-Wählen fernliegt, sich aber ansonsten nicht im Detail für Politik interessiert, wird hin und wieder auf AFD-Posts stoßen und bei sich denken „finde die zwar scheiße, aber irgendwo haben sie hier dann doch nen Punkt“. Die AFD macht sich mit ihren Shitshows selbst salonfähig.

Und mit ihren eigenen Anhängern kann die AFD sowieso machen, was sie will. Die folgen ihr wie eine Herde Schafe ihrem Schäferhund folgt, hinterfragen nichts und verteidigen alles.

Was man dagegen tun kann? Sich verdammt nochmal mit Inhalten von Debatten und Sachfragen auseinanderzusetzen. Die AFD nutzt den traurigen Effekt, dass viele Bürger Demokratie inzwischen so geringschätzen, dass sie sich keinerlei Debatten mehr im Original angucken. Das ermöglicht solche Strategien. Würden sie Leute ihr Wahlrecht ernstnehmen und sich entsprechend informieren, statt immer nur zusamengekürzte Schnipsel in Tagesschau oder YouTube inhalieren, wäre das so nicht möglich.