Medienmanipulation am Beispiel „Hamburger Abendblatt“

Headline auf Abendblatt.de gestern Abend:

BÜRGERSCHAFTS-BESCHLUSS: Nur die FDP ist gegen ein besseres HVV-Seniorenticket

Der Artikel wurde vom Abendblatt auf seiner Facebookseite geteilt und die Kommentare dazu kann man sich schon denken. Ich präsentiere hier mal eine aufschlussreiche Auswahl davon. Inklusive aller Rechtsschreibfehler.

  • Wie kann man nur DAGEGEN sein ?
  • FDP = Partei der Besserverdiener. Bedeutet für die FDP Transferzahlungen einzudämmen. Leistungen durch Steuern drücken, wo es geht. Die Klientel klagt über zu viel Steuerlast und möchte auch nicht mit dem ÖPNV reisen.
  • Egoisten
  • FDP für Reichen, pfui!
  • Die sind erst dafür, wenn die Senioren Möwenpick heißen.
  • Och, die FDP ist gegen alles soziale. Nix neues! GZG wäre der passendere Parteiname: Geld zu Geld…!
  • Die FDP ist DIE neoliberale Partei zum Wohlergehen des Großkapitals auf dem Rücken der Bevölkerung.
  • FDP Partei der Besserverdiener
  • Das wird die FDP zurecht Wählerstimmen kosten.
  • Ich hatte schon gehofft, dass sie wieder der Koalitionspartner der CDU/CSU werden könnte.
  • Immer wieder ist die Klientel Partei FDP, die mich sprachlos macht.

Für die meisten Facebook-Kommentatoren ist die Sache klar: FDP ist ein asozialer Haufen von menschenfeindlicher Snobs, die den armen Rentern ihr günstiges Seniorenticket einfach nicht gönnen mögen. Was für Arschgeigen!

Die Minderheit der Facebook-Gefolgschaft des Abendblattes, die sich die Mühe gemacht hat, den Artikel so richtig anzuklicken und zu lesen, hat allerdings die Begründung der FDP für ihr Abstimmungsverhalten gelesen. Und das klingt so:

„Vor neun Uhr solle der HVV Arbeitnehmern vorbehalten sein. Die Sperrzeit für Seniorentickets abzuschaffen, werde zu Überfüllung führen – und damit der Attraktivität und der Sicherheit schaden.“

Die Überschriften-Aufreger unterliegen also gleich zwei Irrtümern:

  1. ist die FDP nicht gegen Verbesserungen beim Seniorenticket per se, sondern nur gegen diesen konkreten Antrag.
  2. begründet sie das aus der Perspektive der kleinen Arbeitnehmer, die heute schon unter viel zu vollen Bussen und Bahnen zu den Stoßzeiten, zu denen nun auch noch Senioren günstiger fahren können sollen, besonders zu leiden haben.

Man kann jetzt die FDP-Position trotzdem falsch finden und meinen, Rentner sollten auf keinen Fall die 2-3 Euro mehr zahlen müssen, wenn sie sich doch mal einen Arzttermin vor 9 Uhr besorgt haben.

Aber man wird kaum umhin kommen, der Begründung der FDP zugestehen zu müssen, dass sie jedenfalls nicht völlig weltfremd ist.

Leider bekommt das der normale Facebooknutzer aber gar nicht mit, denn der liest einfach nur die bewusst reißerisch gegen die FDP polemisierende Überschrift, regt sich auf, setzt seiner Empörung mit einem orthografisch zweifelhaft aufgemachten Kommentar ein Denkmal und scrollt weiter.

Der Artikel selbst berichtet sehr sachlich, welche Auswirkungen die Entscheidung nun für Inhaber solcher Seniorentickets hat. Das ist die eigentliche Information dieses Artikels – neben dem Abstimmungsverhalten aller Parteien dazu. Perfekt hätte das Abendblatt die Manipulation machen können, hätte sie die Begründung der FDP im Artikel auch noch weggelassen.

Woraus wir schließen können, dass das Abendblatt zwar keine Agenda hat, der FDP möglichst zu schaden. Sondern hier dumme und sachlich falsche Kommentare wie die oben genannten auf Facebook einfach provozieren wollte, um Sichtbarkeit auf Facebook zu erzeugen.

Legitim ist das natürlich, fair nicht wirklich. Und journalistisch sauber schon gar nicht.

Aber wenn man sich als eigentlich relativ seriöse Tageszeitung schon dazu herablässt, derartigen Clickbait zu produzieren, warum dann nicht zur Abwechslung mal mit einer noch schockierenderen Headline, wie zum Beispiel:

FDP letzte Bastion für kleine Arbeitnehmer

oder

Bürgerschaft beschließt Überfüllung für Busse und Bahnen – nur FDP dagegen

Das wäre mindestens so intensiv geklickt, kommentiert und beshitstormed worden, wie die tatsächlich gewählte Headline, wetten?