Die Verlogenheit der demokratischen Linken

In Thüringen ist der Ministerpräsident ausgewechselt worden. Dort wurde nach einem schwierigen Wahlergebnis und einer ähnlich schwierigen Ministerpräsidentenwahl ausgerechnet ein FDP-Mann zum Regierungschef gewählt. Die FDP hatte den Einzug in den Landtag nur knapp geschafft, insofern war es am Wahltag nicht unbedingt naheliegend, von einem FDP-Ministerpräsidenten auszugehen. Und insbesondere die demokratische Linke schreit jetzt Zeter und Mordio, dass ein Freier Demokrat ein Mitglied der Die Linke abgelöst hat. Warum eigentlich?

Weil unterstellt wird, dass Stimmen für den neuen thüringischen Ministerpräsidenten möglicherweise von der AFD gekommen sein könnten. Unklar ist, gegen wen sich dieser – übrigens nicht beweisbare, da geheime Wahl – Vorwurf eigentlich konkret richtet. Den FDP-Ministerpräsidenten? Wenn der steuern könnte, wer ihn wählt, wäre das demokratisch höchst zweifelhaft. Angesichts der Historie beispielsweise der SPD, wo es ja immer wieder vorkommt, dass einzelne Abgeordnete ihrem Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt versauen (man möge dazu die Namen Simonis oder Ypsilanti googeln), hielte ich es ja zudem für naheliegender, davon auszugehen, dass es eventuell wieder mal dort Abweichler gegeben hat…

Ähnlich absurd ist der Vorwurf, wenn man ihn an die AFD gerichtet verstehen möchte. Der Hass der AFD gegenüber der FDP sitzt traditionell tief, wahrscheinlich tiefer, als gegen die meisten anderen Parteien. Insbesondere in Thüringen, wo Björn Höcke und sein „Flügel“ den Ton angeben – denen man sicher zurecht so Einiges unterstellen könnte aber einen heimlichen Hang zum Liberalismus habe ich bei diesen Leuten auch nach Jahren des intensiven Studiums diverser Äußerungen, Auftritte und Handlungen wirklich nicht feststellen können. Die Vorstellung, dass irgendwer von denen unbedingt einen FDP-Ministerpräsidenten gewollt haben soll, mutet recht abwegig an. Aber beweisen lässt sich wie gesagt sowieso nichts.

Wenn man mal ganz nüchtern auf die Situation blickt, dann sah es wie folgt aus: Es gab aus dem extrem linken und dem extrem rechten Lager je einen Kandidaten. Und dann gab es einen von der FDP, eben Kemmerich. Wer kritisiert, dass keiner der beiden Vertreter der Extreme das Rennen gemacht hat, hätte also anstelle von einem freiheitlichen Kandidaten lieber einen Extremisten von links oder rechts als Regierungschef in Thüringen gesehen.

Das verwundert von Seiten der demokratischen Linken nicht besonders, denn sowohl Die Grünen als auch die SPD hatte den bisherigen Ministerpräsidenten ganz offen unterstützt und mit ihm sogar zusammen regiert.

Verlogen ist dennoch, der umbenannten SED an die Macht zu verhelfen und deren Abwahl für eine demokratische Katastrophe zu halten, weil die theoretische Chance besteht, dass es Typen in der AFD gibt, die – möglicherweise sogar versehentlich, die Hellsten sinds ja oft nicht – Kemmerich gewählt haben könnten?

Was sind das eigentlich für merkwürdige Zeiten, in denen es ohne größeres Getue als völlig legitim betrachtet wird, einen Ministerpräsidenten aus der Partei zu wählen, die die letzte Diktatur auf deutschem Boden verbrochen hat, aber ein gewählter freier Demokrat, der einen Wahlkampf ausdrücklich gegen rechte und linke Extreme geführt hatte und folgerichtig dann auch als Kandidat für den Regierungschef ins Rennen gegangen ist, sowas wie den Untergang der Demokratie darstellen soll? Ist das wirklich noch mit notorischer Freiheitsfeindlichkeit der demokratischen Linken zu erklären oder was genau reitet diese Leute da?

Wie wäre es, wenn wir alle mal wieder runter kommen und uns erstmal angucken, wie der neue Ministerpräsident sich so schlägt? Einfach wird er es nicht haben. Aber als jemand, der generell lieber Taten und Positionen beurteilt als Personen, würde ich ihm diese Chance, die ja nunmal sogar sein der politischen Extreme zugehöriger Vorgänger hatte, schon gern erstmal einräumen.

Ehrlich gesagt erwarte ich aber trotzdem gerade von SPD und Grünen, dass sie konstruktiv mitarbeiten und dafür sorgen, dass in Thüringen eine stabile Regierung arbeiten kann, die nicht auf Unterstützung von linksaußen oder rechtsaußen angewiesen ist. Beim Angriff auf die Demokratie von links und rechts sollten Demokraten zusammenhalten.

Zumindest, wenn sie Demokratie für eine feine Sache halten. Genau das wird sich in Thüringen ab sofort also zeigen. Interessante Zeiten somit für Anhänger der Grünen und der SPD.

Insbesondere wer – wie Grüne und Rote – nach den aufgrund großer inhaltlicher Differenzen eigentlich zurecht und nachvollziehbar gescheiterten Jamaika-Sondierungen im Bund 2017 von „aus der Verantwortung stehlen“ phantasiert hat, hätte eigentlich schon moralisch die Pflicht, zu zeigen, dass er es mit seiner Verantwortung zur Demokratie ernst meint, wenn es wirklich mal um etwas geht, so wie eben hier.

Zwei Extremisten und ein Demokrat standen zur Wahl, der Demokrat hat glücklicherweise gewonnen. Ich schlage vor, wie fangen endlich an, das als Erfolg zu feiern, statt einem Ministerpräsidenten mit AFD-Parteibuch oder aus der Die Linke nachzutrauen.