Ich las grade von einer Umfrage mit folgendem Ergebnis: 9 von 10 Deutschen halten die aktuellen Kontaktverbote und sonstigen Maßnahmen der Landesregierungen und der Bundesregierung für angemessen. Ein Drittel aller Deutschen wünscht sich sogar noch härtere Einschränkungen ihrer Freiheit.
Wir brauchen jetzt nicht über den Sinn dieser Regelungen diskutieren. Die getroffenen Maßnahmen halte auch ich für… ja, angemessen trifft es einfach. Schon weil letztlich auch ohne vernünftige Alternative.
Und sie scheinen ja auch zu greifen. Jedenfalls verflacht sich langsam aber sicher die Kurve der Infizierten – auch wenn es nunmehr 45.000 davon gibt und wir in Kürze über 300 Tote zu beklagen haben werden.
Aber neben ihrer willkommenen Hauptwirkung, dass unser Gesundheitssystem so gut mit den Umständen fertig wird, dass sogar Patienten aus dem Ausland im knappen Dutzend zur Behandlung eingeflogen werden können, gibt es leider auch eine ganze Riege an heftigsten Nebenwirkungen, die kaum jemand wirklich sehen, geschweigedenn diskutieren will und die daher erschreckend wenig thematisiert werden:
- Weite Teile der Wirtschaft sind praktisch auf null gefahren. Gesundheitswesen, Lebensmittel-Einzelhandel und was sonst noch absolut lebensnotwendig ist, bildet die Ausnahme und ansonsten arbeitet nur, was weitgehend über Home Office funktioniert. Kosten für Kredite, Mieten, Mitarbeiter etc. laufen für alle weiter – für jedes Restaurant, für jeden Friseur. Etliche werden das nicht überleben.
- Die Demokratie wurde faktisch beendet. Stadträte und Kreistage können theoretisch tagen, tun dies aber auch nur, wenn es wirklich nicht anders geht, werden dafür dann aber umgehend von der übrigen Bevölkerung angefeindet. Effektiv existiert momentan keine Kommunalpolitik mehr und auch Landtage und Bundestag vermeiden Kontakte – und damit natürlich auch Debatten und Sitzungen. Die Parteien vor Ort haben ihre Arbeit ebenfalls auf ein Minimum beschränkt. Hier und da wird per Videotools oder Telefonkonferenzen vielleicht noch mal irgendwas besprochen aber ohne reguläre Parteitage kann es natürlich auch keine Parteitagsbeschlüsse mehr geben. Echte demokratische Beschlüsse sind aktuell nicht machbar.
- Effektiv sind wir alle unserer Wesentlichen Grundrechte beraubt. Wir dürfen nicht mehr grundlos das Haus verlassen, wir dürfen uns nicht mehr beliebig versammeln (auch nicht zu politischen Demonstrationen), wir können keine Gerichte mehr anrufen, um zum Beispiel gegen diesen Zustand zu klagen und wir können uns auch nicht mehr in Parteien politisch engagieren, um diesen Zustand zu beenden. Gleichzeitig nehmen uns die Maßnahmen immer mehr und teilweise vollständig unsere wirtschaftliche Existenzgrundlage.
Statt diese drastischen, seit dem Ende des Dritten Reiches ungekannten Extremverhältnisse, jeden Tag und jede der vielen freien Minuten, die viele momentan unfreiwillig haben, zu thematisieren, zu mahnen, dass es sich um absolute und gut begründete Ausnahmen handeln muss, die so schnell wie möglich vollständig wieder zurückgefahren werden müssen – wann auch immer so schnell wie möglich sein mag – statt also wenigstens formal kollektiv in so eine Art Panikmodus angesichts dieser erheblichen Erosion der Freiheit zu verfallen, wird allerorten eine große Solidaritätsshow abgezogen.
Da werden Schutzmasken handgenäht, werden Steuernachlässe und Sondergehälter für Klinikpersonal gefordert, bieten Privatleute LKW-Fahrern ihre Duschen und Toiletten an, bilden sich überall Gruppen zur Nachbarschaftshilfe und passieren einfach überall theoretisch ja ganz tolle und begrüßenswerte Dinge.
Die aber auch nur den faden Beigeschmack haben, dass sie die zu erwartenden katastrophalen Folgen dieser Krise für den Moment überspielen und die, falls es wirklich richtig mies kommt, noch schneller wieder verschwinden werden, als sie aufgekommen sind.
Zigtausende sind infiziert. Es wird binnen Wochen sehr wahrscheinlich auch in Deutschland eine mindestens vierstellige Zahl von Toten geben. Wenn es gut läuft, bricht unser Gesundheitssystem trotzdem nicht zusammen und kriegt das schon halbwegs souverän über die Bühne, wenn auch den Umständen entsprechend nicht ohne große Herausforderungen.
Aber in der Folge werden etliche ihren Job verlieren, es wird unglaublich viel an lange gewachsener Kultur verloren gehen und irreparable Schäden an der Demokratie und unseren Freiheitsrechten sind eigentlich jetzt schon absehbar. Und das ist nur das, was wir heute, in der immer noch herrschenden Ruhe vor dem Sturm, absehen können.
Und in dieser Situation fällt zwei Dritteln der Deutschen wirklich nichts Besseres ein, als sich NOCH härtere Maßnahmen (deren Sinn sich zumindest mir aktuell absolut nicht erschließt) zu wünschen?
Das ist eine Erkenntnis, die – obwohl leider nicht wirklich überraschend – noch beängstigender ist als alle oben genannten Auswirkungen dieser bundesweiteninternationalen Coronatäne zusammen. Denn sie zeigt: Wenn die Krise, welcher Art auch immer sie sein mag, nur schlimm genug wird, dann ist einer relevanten Menge der Deutschen auch heute noch keine politische Forderung krass und freiheitseinschränkend genug.
Nein, ich rechne nicht damit, dass wir hier in einem halben Jahr den Faschismus regieren haben. Und nein, auch ich finde, wie gesagt, die herrschenden Maßnahmen bei all ihrer Härte angemessen und sinnvoll.
Trotzdem sehen wir hier und jetzt, dass extreme und extremste politische Maßnahmen, dass die komplette Abschaffung unserer Freiheit eher willkommen geheißen und als immer noch nicht drakonisch genug gepriesen wird, als dass man die darin enthaltenen Gefahren sehen will.
Wer auch immer den nächsten Faschismus herbeiführen möchte, bekommt dieser Tage die Blaupause dafür geliefert, wie man das nach wie vor anstellen kann.
Die nächste Gelegenheit dazu zeichnet sich praktischerweise bereits ab. Denn die der aktuellen Krise, die bisher noch vor allem eine des Soziallebens und des Gesundheitssystems ist, wird eine weltweite Wirtschaftskrise mit nicht absehbaren Auswirkungen zur Folge haben.
Politische Kräfte überall auf der Welt werden diese für sich zu nutzen wissen. Auch und besonders die Extreme.