Corona-Tagebuch: 35 ist das neue 50

12 Tage lang lag die Inzidenz in unserem Landkreis unter 50. Nicht meilenweit, sie sank auch nicht wirklich weiter. Jetzt liegt sie wieder knapp drüber.

Man fragt sich, ob dieser Wert von 50 überhaupt nennenswert unterschritten werden kann. Das frage ich mich ja auch hier nicht erst seit gestern.

Seit gestern jedoch weiß ich, dass selbst das eigentlich auch scheißegal ist. Denn nun, wo manche Länder dieser in den letzten 11 Monaten als total wichtig geltenden Grenze nahe kommen, beschließt die Ministerpräsidentenrunde aus heiterem Himmel (und er ist wirklich heiter, weil die Zahlen bundesweit eine gute Entwicklung hinlegen), dass die Grenze von nun an 35 und nicht mehr 50 Infizierte pro Woche pro 100k Einwohner sein soll.

Die Begründung für die 50 war bisher, dass man alles darüber nicht mehr nachverfolgen könne seitens der kommunalen Behörden. Die Frage, warum diese Grenze eigentlich fast ein Jahr lang bei den 50 geblieben ist und nicht erhöht wurde, wo das doch offensichtlich zum Einen extrem wichtig ist und zum Anderen das Lahmlegen fast der gesamten Geschäftswelt, der kompletten Kultur und unser aller Privatleben genau damit begründet wird, dass man mehr nicht nachverfolgen könnte und es deswegen darüber eben schnell gefährlich wird, ist nach wie vor unbeantwortet.

Der verdammte Job der Regierung wäre es, dafür zu sorgen, dass auch bei Inzidenzen von 100 oder mehr noch Infektionsketten nachverfolgbar bleiben. In dieser Hinsicht ist offensichtlich nicht nur nichts zum Positiven erreicht worden, sondern man hat im Ernst 11 Monate gebraucht, um zu bemerken, dass man auch die 50 nicht auf die Kette kriegt?

Kann man das glauben? Sollte man es?

Noch alberner wird es, wenn man mal kurz darüber nachdenkt, dass parallel zur Verkündung dieser neuen – wahrscheinlich über Wochen nicht erreichbaren – roten Linie die Wiedereröffnung der Friseure angekündigt wird. Bitte, was?

Ich gönne den Friseuren ihr Geschäft. Aber zu verstehen ist es rein sachlich wirklich überhaupt nicht mehr.

Die aufschlussreiche Begründung ist wohl, dass es da seeehr viel Schwarzarbeit gegeben habe, wo man den Infektionsschutz ja dann aber gar nicht gewährleisten könne, weshalb wohl eine geordnete Legalisierung des Friseurbetriebs die bessere Lösung sei.

Achso.

Kann man natürlich, wenn man böswillig ist, auf so ziemlich alles andere auch anwenden. Restaurants und Kneipen haben immenses Geld in Corona-Umbauten versenkt, bevor man sie geschlossen hat. Jetzt treffen Leute sich halt ausschließlich illegal zuhause, wenn sie sich unbedingt treffen wollen. Da gibt es null Infektionsschutz. Warum nicht Kneipen und Diskotheken öffnen mit Maskenpflicht und Plexiglaswänden?

Überhaupt treffen sich Leute nur noch illegal, weil jedes Treffen von einer bis mehreren Personen einfach illegal ist. Warum nicht treffen auf Abstand, von mir aus draußen, in einem überschaubaren Rahmen erlauben?

Dass die gleichen Nasen, die auch hier wieder völlig versagt haben, ihre Impferei immer noch nicht auf die Kette kriegen.

Zwei Tage nach Lieferung schon wieder alles weggeimpft. „Alles“ sind mutmaßlich 250 Personen gewesen, denn für mehr reichen die 500 Dosen ja nicht, wenn man die Hälfte für nen zweiten Termin zurückhält.

Immer mehr fordern, immer weniger selber zur Beendigug der Pandemie beitragen. So lässt sich die Gesamtleistung der Regierungen in den letzten Monaten wohl zusammenfassen.

Gleichzeitig benutzt ausgerechnet Minipräsi Kretschmann aus Baden-Württemberg schon wieder das Unwort von „Öffnungsorgien“, als ginge es hier um sonstwas und nicht völlig legitime Debatten um die Frage, wie und wann denn dieser Lockdown allmählich mal auszulaufen beginnen könnte.

Wir erinnern uns: Das ist der Typ, der ohne Schutzmaske durch den Flughafen läuft und auch im Flieger keine trägt, auch wenn er seinen Untertanen selbiges seit Monaten vorschreibt.

Entrückt und weltfremd, so kommt diese ganze Bande der 16 Ministerpräsidenten plus eine Bundeskanzlerin aktuell rüber. Halten sich selber sowieso an gar nichts (auch von Merkel gibts Fotos, wie sie direkt neben ausgerechnet Söder vor ner Videokonferenz sitzt und natürlich keine Maske trägt, bestens frisiert, versteht sich), finden aber jede Woche neue Gründe, ihre Bürger mit immer neuen Verboten zu drangsalieren.

Einmal mehr fragt man sich, ob die überhaupt merken, was sie anrichten. Was sie wirtschaftlich anrichten, gesellschaftlich und was das für Auswirkungen auf die Demokratie hat.

Werfen wir mal einen Blick auf den Landkreis. Die Inzidenz ist zum ersten Mal seit 12 Tagen wieder über 50 gelandet und seit zwei Tagen hat sich die Zahl der aktiven Fälle vergrößert statt verringert. Längerfristig stimmt der Trend zwar immer noch aber zwei Tage mit steigenden Zahlen sind dennoch eine interessante Entwicklung in so einem Lockdown. Auch hier frage ich mich wieder, wie realistisch Inzidenzen von 35 eigentlich sein sollen, wenn trotz aller Einschränkungen die Zahlen hin und wieder auch mal steigen.

Sieht man sich an, wie krass Inzidenzen auf Gemeindeebene schwanken, wird es endgültig abstrus:

  • Die Elbmarsch liegt jetzt bei einer Inzidenz von 0. Es gibt dort noch einen einzigen Infizierten und der hat sich offensichtlich vor mehr als einer Woche infiziert. Gestern lag die Inzidenz noch bei 7,8. Wenn ich es richtig verstehe, ist das die Inzidenz, die in der Elbmarsch bei exakt einem Infizierten einfach herrscht.
  • Die Gemeinde Hanstedt hat ihre Inzidenz binnen eines Tages von 13,5 auf 54 gebracht. Grund: 7 Infizierte mehr als gestern.
  • In der Gemeinde Jesteburg gab es ebenfalls von gestern auf heute 7 Infizierte. Die Inzidenz hier wuchs deswegen von 62,8 auf 89,7.
  • In Salzhausen gab es 3 zusätzliche Fälle seit gestern. Die Inzidenz sank aber von 110,4 auf 103,5.
  • In Stelle blieb die Inzidenz unverändert bei 35,4, obwohl es zwei weitere Fälle gibt.
  • In meiner Gemeinde Winsen stieg die Inzidenz binnen eines Tages von 53,9 auf 56,8 – man zählt 11 neue Fälle.
Der langfristige Trend stimmt aber es gibt einen Hüpfer nach oben.
Inzidenz? Bewegt sich kaum auf lange Sicht.

Diese Beispiele zeigen, dass es ohnehin zu einfach ist, immer nur auf die Inzidenzen zu starren. Die Politik tut es trotzdem. Warum? Keine Ahnung. Und es wird immer schwieriger, sich dafür Gründe auszudenken, die nicht ansatzweise in Richtung Aluhut gehen.