Noch vor wenigen Wochen wäre ich eine meiner berüchtigten „komm, um ne Kiste Bier!“-Wetten eingegangen, dass es Angela Merkels einziges „politisches“ Ziel ist, stumpf einfach ein bisschen länger als Helmut Kohl das Kanzleramt zu besetzen.
Dann kamen zwei – für Unionsverhältnisse – ziemlich vergeigte Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Einen Tag danach erklärt unsere ewige Bundeskanzlerin plötzlich, dass sie in Kürze dann jetzt mal den Parteivorsitz abgibt. Huch.
Was in der CDU und vom Medienzirkus als Rückzug aus der Politik gedeutet wurde und Merkel selbst machte in der Pressekonferenz auf mich auch nicht den Eindruck, als würde sie dem noch irgendwie widersprechen wollen. Zumal sie dort auch noch einmal klar gesagt hat, dass die aktuelle auf jeden Fall ihre letzte Legislaturperiode ist und im Übrigen der Koalitionsvertrag nach der Halbzeit dieser Legislaturperiode ohnehin vorsieht, dass man eine Auflösung der Koalition ernsthaft diskutiert.
Diese Halbzeit wird nach der Sommerpause im kommenden Jahr erreicht sein. Im Augenblick würde ich mal nicht ausschließen, dass wir also im nächsten Jahr um diese Zeit bereits einen neuen Bundeskanzler erleben – oder vielleicht sogar, nach Neuwahlen und so, eine komplett neue Regierung.
Angela Merkel, die allerletzte Person, von der man es erwartet hätte, hat somit die große Politik doch wieder ein bisschen spannender gemacht. Auch, weil es – für Unionsverhältnisse – auf einmal dann doch verblüffend viele gibt, die Lust haben, Merkel zu beerben.
Gerüchte, über einen Wechsel zurück in die Politik von Friedrich Merz machten zum Beispiel gefühlt schon Minuten nach Merkels Ankündigung die Runde, wie auch immer er das angestellt haben mag. Aber es stehen mit Armin Laschet, Jens Spahn und Annegret Kramp-Karrenbauer auch noch drei weitere Namen im Raum, denen seit Jahren ein Interesse an der Merkel-Nachfolge angedichtet wird und die ihr Interesse zumindest bisher nicht dementieren.
Interessant ist dabei, wie viel in die jeweiligen Personen inhaltlich so hineininterpretiert wird!
Kramp-Karrenbauer wird – jedenfalls medial – als eine Art Merkel-Klon inszeniert, seit sie ihr aktuelles Amt der CDU-Generalsekretärin inne hat. Und genau so lange frage ich mich, mit was dieses Etikett eigentlich gerechtfertigt wird. Liegt das wirklich nur daran, dass sie ähnlich langweilig wirkt und ebenfalls eine Frau ist? Ist mir als Grundlage für eine Analyse dann doch ein bisschen zu billig. Ich weiß, dass sie zumindest in Teilen sehr stockkonservative persönliche Ansichten haben soll, beispielsweise wenn es um so Themen wie die Homo-Ehe geht. Taugt das wirklich dazu, sie mit Merkel zu vergleichen?
Spahn gilt hingegen als Lieblingskandidat der Jungen Union und gleichzeitig ebenfalls erzkonservativ. Gut, das muss noch kein Widerspruch sein. Wie man dieses Etikett ausgerechnet jemandem verpassen mag, der – in der CDU, wohlgemerkt – bekennend homosexuell und auch verheiratet ist, finde ich hingegen dann doch ein bisschen widersprüchlich. Spahns Konservativ-Image scheint sich auf ein paar markige Sprüche seinerseits damals in der Flüchtlingskrise zu stützen. Dass der Mann noch ein paar Facetten mehr zu haben scheint, ignoriert die mediale Öffentlichkeit fürs Erste völlig.
Laschet führt eine schwarz-gelbe Landesregierung, was gemeinhin als die konservativste Koalition gilt, die man in Deutschland realistischerweise derzeit so bilden kann. Ausgerechnet der gilt gleichzeitig aber als der weltoffene, soziale Reformer. Auf welcher Grundlage eigentlich?
Und schließlich Merz. Seit fast zehn Jahren ist der raus aus der Politik. Er wurde damals von Merkel als Fraktionschef abgesägt. hat sich den Zirkus in Berlin anschließend noch ein bisschen von seinem Bundestagsmandat aus angeguckt und ist dann eben in die Wirtschaft gewechselt. Von wo er jetzt wieder zurück in die Politik wechseln würde, wenn die CDU ihn wählt.
Merz ist vielleicht von den vier Namen der einzige, mit einem relativ eindeutigen Profil. Er gilt als relativ wirtschaftsliberal und ich wüsste das jetzt auch nicht mit irgendwas Konkretem zu relativieren. Pragmatismus hat er inzwischen allerdings schon bewiesen, in dem er die Grünen öffentlich als „partnerfähig“ für die Union bezeichnet hat.
Über seine sonstigen politischen Ansichten kann man allerdings auch nur spekulieren, weil er, wie gesagt, so dermaßen lange raus ist, dass sich die Welt – insbesondere die der Union – einfach weitergedreht hat. Wehrpflicht, Kernenergie, Homo-Ehe – das sind mal so Schlagworte, die zeigen, wo die Union vor Merz‘ Ausscheiden aus dem Bundestag komplett andere Positionen hatte, als ihre Regierung sie später einfach mal bezogen und auch durchgesetzt hat. Das waren auch durchweg keine Kleinigkeiten. Selbst wenn Merz es wollte: Er wird das alles nicht mal eben so wegräumen können.
Und ich persönlich glaube auch nicht, dass er das ernsthaft will. Also, „will“ in dem Sinn, dass er dafür Parteivorsitz oder irgendwann gar Kanzlerschaft aufs Spiel setzen würde.
Und damit sind wir bei dem Punkt, der mir in der aktuellen Diskussion über das Kandidatenkarussel bei der CDU so völlig fehlt. Es werden den Kandidaten bestimmte inhaltliche Attitüden zugeschrieben, die einerseits im Augenblick völlig aus dem Kaffeesatz gelesen werden, andererseits aber sowieso absolut gar nichts über die künftige Politik der CDU aussagen.
Denn inhaltliche Positionen besetzen CDU-Vorsitzende und -Kanzler traditionell eher nicht aufgrund ihrer Privatmeinung, sondern wie es ihnen grade in den Kram passt. Wovon man halten kann, was man will, es ist aber am Ende einfach nur sehr pragmatisch, zumal in einer Volkspartei, die – anders als leider derzeit die SPD – immer noch den Anspruch hat, auch wirklich von einem großen Teil der Bürger gewählt werden zu können. Mir persönlich sind Typen, bei denen ich weiß, woran ich inhaltlich bin, sympathischer und auch lieber. Aber ich würde ja (wahrscheinlich auch deswegen) ohnehin nie im Leben CDU wählen.
Man überlege bitte jetzt mal kurz, mit welchen Inhalten man Angela Merkel aktuell verbinden will. Naheliegenderweise wird sie als die „Flüchtlingskanzlerin“ in die Geschichte eingehen. Irgendwo auch zurecht, denn das Thema bestimmte ihre Kanzlerschaft mindestens seit der Euro-Krise massiv.
Naheliegend ist das aber auch nur von heute aus betrachtet. Vor dem Herbst 2015 hat Angela Merkel das Flüchtlingsthema weiträumig von sich ferngehalten. Flüchtlingsheime hat sie bis dahin nie besucht. Über ihre private Meinung zu dem Thema ist wenig bekannt, aber zumindest soviel, dass sie der Meinung ist, dass man nicht jeden, der nach Deutschland kommen will, zwangsläufig auch aufnehmen könnte. Denn dann wäre irgendwann nicht mehr genug Platz für die wirklich Verfolgten, um die es beim Asylrecht ja eigentlich geht, so jedenfalls wird sie vor 2015 zitiert.
Ihre verkündete politische Meinung zu diesem Themenkomplex vor 2015 kann man vielleicht dann noch mit ihren berühmten Satz „Multikulti ist gescheitert“ zusammenfassen. Damit nicht genug, die Frau galt vor 2005 als stockkonservativ, rückwärtsgewandt, fies wirtschaftsliberal, schlecht fürs Klima und so weiter. Sie hat sich auch ihre ganze Kanzlerschaft lang gegen ein Einwanderungsgesetz gewehrt.
Es ist letztlich schwierig, festzustellen, was von all dem ihre echte Meinung ist und was lediglich eine taktische Position. Merkel hat einen gewissen Namen damit gemacht, Positionen scheinbar spontan, zumindest aber rücksichtslos pragmatisch und gerne auch ohne jegliche Rücksprache zur eigenen Partei zu räumen und komplett ins Gegenteil zu verkehren.
Und wie schon gesagt: Das muss einem wirklich nicht gefallen. Aber erfolgreich ist diese Masche trotzdem. Diese inhaltliche Flexibilität (um den wertenden Begriff der Beliebigkeit an dieser Stelle zu vermeiden) ist vielleicht das, was eine moderne Volkspartei überhaupt noch ausmacht. Prinzipien können es jedenfalls nicht sein. Vermutlich, weil auch „das Volk“ über wenig bis gar keine Prinzipien verfügt.
Ich wage hier und heute mal die Prognose, dass auch Merkels Nachfolger, wer auch immer es sein wird, diese Flexibilität nicht komplett aufgeben wird. Auch nicht aufgeben kann, denn in einem Parlament mit sieben Parteien, von denen es jedenfalls im Augenblick eigentlich nur noch eine gibt, die den Titel Volkspartei mit Recht trägt, kann ein CDU-Vorsitzender und noch weniger ein Kanzler sich den Luxus der Prinzipientreue eigentlich gar nicht mehr leisten.
Er kann Überzeugungen haben, für die kann er zumindest nach innen auch kämpfen. Aber er wird in seinen Positionen am Ende immer gewisse Kompromisse machen müssen.
Die Merkel-CDU hat dieses Nicht-Prinzip perfektioniert. Anfangs war es vermutlich nur eine Masche, einfach nur eine clevere Strategie. Inzwischen ist es notwendiges Herrschaftsprinzip geworden.
Wer mit jedem aus dem gesamten Parteienspektrum regieren können will, der kann sich eigene Prinzipien nicht leisten. In unserer aktuellen Parteienlandschaft wird es absehbar schwieriger, zweier-Koalitionen zu bilden. Nach der nächsten Bundestagswahl wird möglicherweise selbst die SPD endgültig nicht mehr stark genug sein für so etwas.
Ob der nächste Bundeskanzler nun Spahn, Kramp-Karrenbauer, Laschet oder Spahn heißen mag, er wird fast zwangsläufig Koalitionen mit mehreren Parteien bilden müssen. Und diese werden untereinander bereits relativ große Differenzen haben. Wenn dann der Kanzler noch meint, seinen Dickschädel in inhaltlichen Prinzipien ausleben zu müssen, dann platzt jede Regierungskonstellation bereits nach wenigen Monaten. Das wird nicht funktionieren.
Die aktuellen Zuschreibungen von bestimmten Attitüden an die potenziellen Merkel-Nachfolger sind einfach nur albern. Sie sind es, weil sie ohnehin nur geraten sind und sie sind es, weil sie mit der Praxis nichts zu tun haben.