In Berlin findet mehrmals täglich irgendeine Demo statt. Das ist keine Übertreibung, 2017 fanden zum Beispiel sage und schreibe 5000 Demonstrationen statt. Im Schnitt also jeden Tag 13.
Auch am vergangenen Wochenende gab es eine Demonstration. Diese war aber wohl doch etwas größer und sticht darum ein wenig aus der Masse heraus. Angeblich waren fast eine Viertelmillion Leute da und haben sich unter dem Motto „#unteilbar“ versammelt.
Worum es auf dieser Demo inhaltlich ging, habe ich leider auch nach Lektüre eines Zeitungsinterviews mit Organisatorin Theresa Hartmann noch nicht begriffen. Mein erster Verdacht war: Vielleicht um Migration. Aber ob dafür, dagegen oder für ein vernünftiges Einwanderungsgesetz, das ist alles nicht so richtig klar. Im Interview faselte Frau Hartmann zudem noch irgendwas von Sozialpolitik im Allgemeinen, die die Leute angeblich auf die Straße gebracht hätte, was ja nun wieder ein ganz anderes Thema wäre.
Dann habe ich mir die Liste der Redner der Abschlusskundgebung angesehen und ein bisschen durch die Aufzeichnung bei Youtube gezappt.
Die meisten kannte ich zwar nicht aber es ergibt sich insgesamt ein ziemlich buntes Bild, das man inhaltlich noch viel weniger einem konkreten Anliegen zuordnen kann: Künstler, Gewerkschafter, Netzaktivisten. Und Musiker.
Denn Musik gab’s natürlich auch. Herbert Grönemeyer und Konstantin Wecker waren zum Beispiel da. Nicht jedermanns Sache, sicherlich – aber für lau hätte ich mir die beiden wahrscheinlich auch einfach mal angesehen, wäre ich Berliner.
Grönemeyer hat übrigens, so kündigt ihn die Moderatorin an, „vor zwei Tagen seine neue Single gedropped“. „Widerstand kann Spaß machen,“ sagt Herbert – und fängt sogleich an, besagte neue Single vorzutragen. Wogegen auch immer er damit „Widerstand“ leisten wollte: Kommerz wird es nicht gewesen sein.
Mein musikalisches Highlight war allerdings dieser mir bisher gänzlich unbekannte Typ zu Anfang, der sich nicht entblödete, das in diesem Jahr ja endgültig in der zeitgenössischen Popmusik angekommene „Bella Ciao“ zu intonieren. Nichts gegen den Song an sich, der ist ja ganz schmissig und so. Aber es handelt sich um ein Partisanenlied. Wogegen normalerweise auch nichts einzuwenden wäre – allerdings trug der Typ dabei allen Ernstes ein „Peace“-Zeichen als Kette um den Hals. Vielleicht fehlt es mir an der Stelle ein wenig an Geschichtsvergessenheit aber ich finde es eigentlich ganz gut, dass die antifaschistischen Partisanen damals gerade nicht pazifistisch unterwegs gewesen sind.
Aber egal. Wir haben hier auf alle Fälle einen bunten Blumenstrauß an Eindrücken, die sich für mich schwierig unter einer politische Botschaft zusammenfassen lassen. Ich bin darum vorerst zu dem Schluss gekommen, dass das Inhaltliche bei dieser Demo insgesamt nicht so wichtig gewesen ist.
Offenbar ist es ja einfach so ein Berliner Ding, dass man so genau gar nicht wissen muss, warum man auf die Straße geht, sondern es ist einfach eine Art Happening, eben die Art, wie man in Berlin gemeinsam seine Freizeit gestaltet.
Was im Prinzip ja auch völlig okay ist. Einiges an der Party vom vergangenen Wochenende finde ich trotzdem nicht ganz so witzig.
Denn das soziale Netz ist seitdem voll mit mehr oder weniger glaubwürdigen Belegen dafür, dass darunter teilweise ziemlich üble Gestalten (die Rede ist von Islamisten, türkischen Nationalisten, Antisemiten usw.) gewesen sein sollen. Was nicht weiter verwunderlich ist, weil Berlin eben auch voll von solchen Leuten ist.
Eine weitere interessante Randnotiz zu dieser Demo ist aber, dass die Organisation der Demo offenbar das Führen von Deutschland- oder Europafahnen untersagt hat. In vorhin bereits erwähntem Zeitungsinterview erklärt Frau Hartmann dazu, die Deutschlandfahne sei „derzeit unglaublich rechts konnotiert.“ Gut, das mag man so sehen, schließlich wird diese Fahne bei jeder Pegida-Demo und sonstigen AFD-Veranstaltungen tatsächlich regelmäßig als Symbol für rechtsextreme Positionen missbraucht.
Nur ist sie – historisch gesehen – eigentlich genau das Gegenteil davon. Oder besser gesagt: sie war das Gegenteil eines rechtsextremen Symbols. Denn wenn sie nun von vermeintlichen Gegnern des Rechtsextremismus zu einem Symbol für diesen erklärt wird, dann wird sie irgendwann genau das sein und dann werden tatsächlich nur noch Rechtsextreme problemlos eine Deutschlandflagge zeigen können. „#Unteilbar“ teilt damit also die Leute. Ich frage mich: Wäre es nicht besser, den Rechtsextremen solche Symbole einfach wieder wegzunehmen, statt die Deutschlandfahne schleichend für Nazis reservieren zu wollen?
An dieser Stelle sei kurz darauf hingewiesen, dass das von dem Bella-Ciao-Sänger getragene Peace-Zeichen übrigens auf Wikinger-Runen basiert. War wohl kein Problem für die offenbar nur sehr selektiv kleinlichen Organisatoren.
Außerdem ist bemerkenswert, dass es den Organisatoren offenbar erfolgreich gelungen ist, die bösen Deutschlandfahnen fernzuhalten, sie aber selbst einräumen, dass es wohl den einen oder anderen antisemitischen Ausfall gegeben haben könnte. Auch hier zeigt sich diese selektive Kleinlichtkeit.
„#Unteilbar“ teilt aber auch anders. Auf den Hinweis, CDU und FDP hätten sich in Berlin von der Veranstaltung distanziert, weil sich dort zwar keine Rechtsextremisten, dafür aber nicht minder widerliche Linksextremisten versammelt hätten, bestreitet die Organisatorin nicht mal, dass das so gewesen sein könnte, sondern weist ihrerseits darauf hin, man sei ja schließlich
„kein Parteienbündnis, sondern uns ging es in erster Linie darum, an die Zivilgesellschaft zu appellieren.“
Heißt: Man teilt die Welt in eine „Zivilgesellschaft“ und „die Parteien“. Eine sehr aufschlussreiche Äußerung, was das hinter so einer Haltung stehende Verhältnis zur Demokratie betrifft. Aber so sind sie eben, die Berliner.
Blickt man von außen auf diese Veranstaltung, fällt einem denn auch einfach nur „typisch Berlin“ dazu ein. Inhaltlich bleibt der Zweck dieser Demo für uns Außenstehende schwer zu fassen und man fühlt sich unweigerlich an die jährliche „Love Parade“ der 1990er Jahre erinnert, die ja ebenfalls eine politische Demonstration gewesen sein soll und zeitweise eineinhalb Millionen Menschen auf die Straße gebracht hat.
Die politische Relevanz war damals – wie heute bei #unteilbar – natürlich gleich null. Dafür hatte man damals wie heute aber immerhin eine geile Party, bei der sich die Berliner ordentlich austoben konnten. Das muss ja auch mal sein.