Warum es sich lohnt, Mitglied einer politischen Jugendorganisation zu sein (selbst, wenn es einen inhaltlich regelmäßig frustriert)

Politische Jugendarbeit - inoffizieller Teil
Politische Jugendarbeit – inoffizieller Teil

Ich wurde im selben Jahr geboren, wie die Jungen Liberalen – und auch wenn der Verband mit seinen 35 Jahren nach wie vor sehr aktiv ist, ist das für seine Mitglieder das Alter, in dem man zwangsläufig aufhört, ein „JuLi“ zu sein. In dieser Woche endet also nach über 14 Jahren meine Mitgliedschaft bei den Jungen Liberalen, der politischen Jugendorganisation der FDP.

Mitglied geworden bin ich einige Jahre, nachdem ich in die FDP eingetreten bin – nämlich zu dem Zeitpunkt, als ich mit einigen anderen jungen Leuten in meinem Landkreis unseren JuLi-Kreisverband neu gründete. Bis dahin hatte ich, wie vermutlich sehr viele auch politisch interessierten Leute in diesem Land, nicht wirklich Kenntnis von der Existenz der JuLis oder was es überhaupt konkret mit diesen politischen Jugendorganisationen auf sich hat.

Nachdem ich einige Jahre ein sehr passives Mitglied gewesen bin, war der Kreisverband irgendwann so klein, dass ich mehr oder weniger zwangsläufig zum Kreisvorsitzenden und einzigen aktiven Mitglied wurde. Was eine sehr lustige Konstellation ist, weil man plötzlich seine eigene Meinung als die eines ganzen Kreisverbandes gegenüber der Presse (die natürlich keine Ahnung hatte, wie klein wir inzwischen wirklich waren) ausgeben konnte. Das war sehr lustig und habe ich sehr genossen :)

Trotzdem konnte ich nach kurzer Zeit einige engagierte neue Mitstreiter gewinnen, auf Landeskongressen dann bald auch programmatisch einige Erfolge feiern – oder zumindest gute Debatten anstoßen (was mir eigentlich sowieso immer wichtiger war, als am Ende eine Abstimmung zu gewinnen) und landete plötzlich auch relativ überraschend eine zeitlang im Landesvorstand und durfte da ein wenig helfen, den Verband onlinetechnisch und in Sachen Social Media auf Vordermann zu bringen.

In meinen letzten Jahren als ordentliches Mitglied durfte ich dann auch noch mit dem Aufbau des Kreisverband.net dabei helfen, etwas völlig Neues auf die Beine zu stellen. Auch dieser Verband hat sich mittlerweile zu einer sehr aktiven Programm-Maschine entwickelt: Nach drei Jahren Aktivität können wir dort auf 30 Sachanträge zurückblicken, die ausschließlich über Onlineplattformen erarbeitet und bei Telefonkonferenzen diskutiert und beschlossen worden sind.

Heute wird in eben diesem Netz-Kreisverband ein neuer Vorstand gewählt und da ich morgen dann tatsächlich mein 36. Lebensjahr beende, endet auch meine Mitgliedschaft bei den JuLis insgesamt, da hier entweder der 35. Geburtstag oder das Ende einer vor dem 35. Geburtstag angetreten Amtszeit die „Bioklippe“ bildet, die einen automatisch aus dem Jugendverband ausscheiden lässt.

Das ist einerseits auch gut so, weil man mit Mitte 30 tatsächlich nicht mehr unbedingt in einem Verband herumtreiben möchte, in dem man auf fast jeder Veranstaltung der Älteste ist, während das Durchschnittsalter bestenfalls 15 Jahre (und damit ein gutes JuLi-Mindesteintrittsalter…) unter dem eigenen liegt. Andererseits haben mich die Jahre bei den JuLis in vielerlei Hinsicht geprägt, weiter gebracht und im besten Sinn mein Leben bereichert, so dass ich selbstverständlich Vieles davon künftig vermissen werde.

Um aber – sowohl für mich selbst, aber auch für manchen Anderen, der mit dem Konzept „politische Jugendorganisation“ vielleicht ähnlich wenig anfangen kann wie ich, als ich einen Kreisverband gründete – mal festzuhalten, warum sich Mitgliedschaft und Engagement durchaus lohnen, möchte ich einfach mal ein paar Gründe zusammenschreiben, aus denen es sich rückblickend gelohnt hat, dabei zu sein.

Erkenntnisse und Einblicke, die es nur hier gibt

Bei der Bundestagswahl 2009 erfuhr ich Stunden vor der Presse, wie das neue Kabinett der Bundesregierung aussehen würde und der neue Bundesgesundheitsminister stand zwei Jahre später einem JuLi-Landeskongress über die Politik der Bundesregierung Rede und Antwort – und zwar offener, ehrlicher und auch härter, als es in Presse oder Öffentlichkeit und mit Sicherheit auch auf einem normalen Parteitag möglich gewesen wäre. Man gehört einem exklusiven Kreis an – obwohl wirklich jeder einfach so dort Mitglied werden kann. Das ist phantastisch – und für einen politisch interessierten Menschen natürlich faszinierend. Und natürlich baut man in dieser Zeit automatisch Netzwerke auf, über die man an gewisse Informationen kommt, die Normalbürgern nicht ohne Weiteres offen stehen. Das sind Sachen, die sicher nicht jeden vom Hocker reißen. Aber für Leute, die ernsthaft politisch interessiert sind, ist das schon geil.

Live dabei sein, wie Karrieren entstehen

Bei der Gründung unseres Kreisverbandes 2002 war niemand geringeres als Christian Dürr anwesend und hat uns damals dabei unterstützt. Ich weiß nicht, ob er damals Landesvorsitzender der JuLis oder irgendwas Anderes war aber heute ist er jedenfalls Fraktionsvorsitzender der FDP im Landtag Niedersachsens und wird voraussichtlich Spitzenkandidat zur kommenden Bundestagswahl. Bei meinem ersten Landeskongress als Kreisvorsitzender einige Jahre später wählte ich einen gewissen Björn Försterling zum Landesvorsitzenden. Der ist heute Bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag. Bei beiden darf man davon ausgehen, dass das noch lange nicht der Zenit ihrer politischen Karrieren sein wird. Und ich könnte noch viele weitere Namen nennen von Leuten, die mindestens in der FDP, mit guten Chancen aber auch für Niedersachsen und ganz Deutschland irgendwann einmal politisch wichtige Rollen spielen werden und die mir schon in der Zeit bei den JuLis am Anfang ihrer Karrieren über den Weg gelaufen sind. Es hat zwar keinen wirklichen praktischen Nutzen, diese Leute zu einem Zeitpunkt gekannt und erlebt zu haben, als sie noch ganz am Anfang standen aber interessant ist es eben schon, zu verfolgen, wie es mit einstigen Weggefährten weitergeht, die sich für eine Karriere in der Politik entscheiden.

Politische Prozesse gestalten und beobachten

Ich habe zahllose Debatten über die Legalisierung von Cannabis auf allen möglichen Ebenen erlebt. 2009 versuchte der JuLi-Bundesvorstand noch, dies ins damalige Bundestagswahlprogramm zu schreiben – woraufhin der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle persönlich energisch, wortgewaltig und (leider) erfolgreich intervenierte. Neuerdings ist diese Schlacht aber auch auf Bundesebene erfolgreich geschlagen worden und damit ging ein Prozess zuende, der schon vor meiner eigenen JuLi-Zeit begann und sie die ganze Zeit begleitete. Wer jemals eine Weile aktives Mitglied einer Jugendorganisation war, der weiß, wie lang und wechselhaft politische Prozesse sein können. Und er weiß möglicherweise auch, wie viel oder wie wenig er selbst da beitragen kann. Ich hatte es eingangs schon erwähnt: Meine Priorität lag immer mehr darin, Debatten oder vielleicht auch nur Denkprozesse bei dem Einen oder Anderen zu wecken, an als daran, tatsächlich eine Entscheidung nach meinem Geschmack herbeizuführen. Nichtsdestotrotz funktioniert unser politisches System aufgrund solcher Entscheidungen und der teilweise Jahre und Jahrzehnte dauernden Prozesse, aus denen sie entstehen. Und es ist spannend, live dabei zu sein und das zu verfolgen.

Der nach oben offene Reisezirkus

Das Jahr eines Jungen Liberalen hält Zwei Landeskongresse, zwei Bundeskongresse, zwei bis drei Wochenenden mit „politischer Bildung“ (und Abendprogramm) auf Landesebene, Termine der Landesarbeitskreise und auf Wunsch auch noch die Kongresse und anderen genannten Veranstaltungen noch mal auf Bundesebene und für die ganz Eifrigen auch noch ein paar internationale Termine bereit. Hinzu kommen gegebenenfalls FDP-Parteitage auf Kreis-, Bezirks-, Landes- und Bundesebene und wem das nicht reicht, der reist mit IFLRY & Co buchstäblich durch den Rest der Welt… Wenn man es drauf anlegt, kann man wirklich sehr, sehr viel unterwegs sein. Und natürlich kann man auch noch in jedes Bundesland, in dem gerade gewählt wird, zur Wahlkampfunterstützung fahren oder sich von Bundestags- oder Europarlamentsabgeordneten einladen lassen. Ich selbst habe mich da quantitativ immer eher so im Mittelfeld bewegt und vor allem Termine auf JuLi-Landesebene mitgenommen – aber auch dort habe ich zahllose Städte und Orte kennen gelernt, an die ich vermutlich sonst nie gelangt wäre. Man kommt rum, ganz automatisch. Und ist dabei in der Regel von interessanten Menschen umgeben.

Wirklich interessante Menschen kennen lernen, die man nirgendwo sonst kennenlernen würde

Und damit komme ich zum letzten und wichtigsten Punkt. Ja klar: Anfangs war Politik, Inhalt und Debatte das, was wirklich interessant an JuLi-Veranstaltungen war. Aber spätestens ab dem Zeitpunkt, ab dem ich mich regelmäßig auf Landeskongressen etc. herumgetrieben habe, wurde aus jeder überregionalen Veranstaltung eine Art kleines „Familientreffen“ und es sind tatsächlich einige echte Freundschaften entstanden, die gar nichts mehr mit dem ursprünglichen politischen Engagement zu tun haben. Selbst in diesem Jahr auf den letzten Metern meiner Mitgliedschaft habe ich noch einige neue Leute kennengelernt, die ich garantiert nirgendwo anders getroffen hätte und über deren Bekanntschaft ich mich einfach freue und die ich als Persönlichkeiten ganz unabhängig von der Politik interessant finde.

Politische Jugendorganisationen: Nicht für Jeden was – aber für Jeden einen Versuch wert

Es wird sich nicht jeder in solchen Organisationen so wohl fühlen, wie ich das unter dem Strich immer getan habe. Wer mich (politisch) ein wenig kennt, der weiß, dass ich rein inhaltlich oft genug nicht mit den Beschlusslagen der Jungen Liberalen konform gehe und mit reinen Karrieristen, die es natürlich auch immer mal wieder gibt, kann ich auch nicht viel anfangen. Ebenso bin ich regelmäßig genervt von so mancher innerverbandlicher Kampagne gegen einzelne Leute gewesen. Es gibt also genügend Dinge, die einem die Freude an der Arbeit in so einer Organisation nehmen können, wenn man in dieser Hinsicht nicht ganz so dickfällig und ignorant tickt, wie ich.

Mitglied und vor allem aktiv zu sein bei den Jungen Liberalen ist mit Sicherheit nichts für Jeden – aber wer auch nur leicht überdurchschnittlich politisch interessiert ist, droht sich Vieles entgehen zu lassen, wenn er es nicht wenigstens mal ausprobiert.