Der perfekte Staat

Vermutlich hat mich kein Film, Buch, Computerspiel oder sonstiges Medienerzeugnis dermaßen politisch geprägt, wie Orwells „1984“. Als Kind habe ich es das erste Mal gelesen, später noch ein paar Mal. Die Perfektion des totalen Staates, wie er darin beschrieben wird, hat mich jedes Mal aufs Neue gegruselt, fasziniert, gefesselt – und auch beeinflusst. 

Gestern habe ich mir das Ganze einmal als Theaterstück angesehen. Es lag sicher daran, dass es eben Theater war, dass mir der Plot dieses Mal sehr viel abstrakter vorkam, als sonst. Auch wenn die Inszenierung insgesamt schon sehr gelungen war.

Trotzdem ist mir danach, die Staatskonzepte jenes fiktiven Staates Ozeanien aus dem Roman einmal aufzulisten – und auf ihre realen Pendants hinzuweisen.

Denn das ist es, was aus dieser Dystopie einen echten Geniestreich macht. Und das ist es, was das Buch zu einem immer noch aktuellem Klassiker macht. Alles, was dort beschrieben wird, finden wir – mindestens in Ansätzen – in der heutigen Welt auch. Und zwar nicht nur in menschenverachtenden Diktaturen.

Krisen, Gefahren und Kriege als politisches Werkzeug

Ozeanien befindet sich im Krieg mit Eurasien. Ozeanien befand sich immer im Krieg mit Eurasien. Die Parole Krieg ist Frieden beschreibt, was aus Sicht der Partei „Frieden“ und damit unbedingt erstrebenswerter Zustand ist. Mit dem Krieg lässt sich jedes wirtschaftliche Versagen rechtfertigen. Vor allem lässt sich damit jede noch so heftige Repression rechtfertigen. Natürlich muss der Staat dafür sorgen, dass Kinder ihre Eltern ausspionieren und dem Regime ans Messer liefern. Natürlich müssen überall Kameras und Mirkofone, jene Televisoren sein. Wie soll man sonst den kriegswichtigen Zustand aufrecht erhalten, dass alle, wirklich alle hinter dem Staat, dem Big Brother stehen? Außerdem lassen sich nur so die (angeblich) zahlreichen Spione ausfindig machen und aus dem Verkehr ziehen.

Der Krieg selbst hat gar keine strategischen Ziele. Er ist Selbstzweck und Rechtfertigung für eine Art permanenten Ausnahmezustand geworden. Deswegen darf er auch nie enden. Mitten im Roman ändert sich allerdings der Gegner und Ozeanen führt auf einmal nicht mehr Krieg gegen Eurasien, sondern lag plötzlich – schon immer – im Krieg mit Ostasien. Und in diesem Sinn ist Krieg dann Frieden: Solange Krieg herrscht, hat die Partei alles im Griff.

Orwells in einem anderen Werk auftauchendes Wort 

Objektiv betrachtet ist der Pazifist pro-nazistisch

Original engl.: „Since pacifists have more freedom of action in countries where traces of democracy survive, pacifism can act more effectively against democracy than for it. Objectively the pacifist is pro-Nazi.
 – No, not one, 1941

legt den Verdacht nahe, dass er „Frieden“ gleichzeitig als erstrebenswertes Ziel sehr differenziert gesehen hat und zumindest kein natürlicher Verbündeter der Demokratie sein muss.

Einer der trostlosesten Aspekte des Romans war für mich immer die sich aufdrängende Vermutung, dass es sich bei den beiden anderen Supermächten um ähnlich perfekte Staatsgebilde handelt, denen der permanente Krieg aus den gleichen Gründen genau so wichtig ist. Das gespenstische an dieser Vermutung ist, dass sie genau so gut das Ergebnis der Propaganda Ozeaniens sein könnte und die Leute einfach glauben sollen, dass es so ist. Ähnlich, wie die DDR ja auch bis 1989 nicht müde wurde, ihren Einwohnern zu erzählen, wie schlimm es „drüben“ doch ist.

Der Krieg findet eigentlich sehr weit entfernt vom Schauplatz der Handlung statt. Trotzdem schlagen gelegentlich Bomben ein. Natürlich gibt es keine Beweise aber wäre es nicht verdammt clever, wenn der Staat selbst diese Bomben abwirft, damit die Leute auch ja nicht vergessen, dass Krieg ist und dass darum all diese Repressalien einfach sein müssen? Die Tatsache, dass komischerweise immer nur Arbeiterviertel und nie Parteiquartiere bombardiert werden, stützen diesen Verdacht natürlich. Parallelen zu gängigen Verschwörungstheorien rund um den 11. September sind hier offensichtlich.

Wirtschaftliche Knappheit für Repression und Propaganda

Ob der Krieg wirklich der Grund für die chronische Knappheit vieler Güter ist, weiß man letztlich nicht. Wäre er es nicht, wäre es gar nicht so dumm, eine solche Knappheit künstlich herzustellen. Denn je beschissener man die Leute leben lässt, desto besser lassen sie sich aufhetzen. Ein Konzept, dass wir in der realen Welt in Nordkorea wie im „Islamischen Staat“ finden können. Im Dritten Reich hat man den Hass auf Juden auch mit Neid auf jüdische Reichtümer, beziehungsweise mit dem Auflösen dieser zugunsten der deutschen Volksgemeinschaft am Laufen gehalten.

Die Knappheit an Allem erfüllt aber auch noch wichtige Propagandazwecke. Denn wenn das – regelmäßige – Anheben der Schokoladenration auf (nicht etwa um!) 20 Gramm nicht zu den befohlenen Jubelarien führen könnte, würden ja nur noch mehr Untertanen auf die Idee kommen, dass hier ganz schöner Scheiß mit ihnen veranstaltet wird. Knappheit an Allem sorgt dafür, dass man sich über lächerlichste Kleinigkeiten freuen kann. 

In der DDR waren Alltäglichkeiten wie dass man Bananen oder Stumpfhosen kaufen konnte, Sensationen, die die Leute ausrasten ließen vor Begeisterung. So komfortfrei und altbacken ein Trabant auch war, wenn man nichts anderes bekommen konnte, war die Freude über das neue Auto nach 20 Jahren Wartezeit trotzdem gigantisch. Und besonders brave Untertanen belohnte man mit einer Kreuzfahrt auf der „Völkerfreundschaft„. So schraubt man Ansprüche herunter.

Wahrscheinlich genügen ein immerwährender Krieg in Verbindung mit einem absurd großen Apparat für Überwachung, Kontrolle und Manipulation, also einem Staat, der sich eigentlich um gar nichts anderes mehr kümmert als darum, alles, wirklich alles unter Kontrolle zu behalten, als völlig ausreichende Erklärung dafür ist, dass das Volk in bitterster Armut lebt und es an allem fehlt. Aber wenn das allein nicht ausreicht, müsste man ja den übschüssigen Reichtum lediglich bewusst in Richtung „Innere Partei“, also die privilegierten 2% der Bevölkerung verschieben. Im Roman geschieht das, indem nur dieser enge Zirkel Zugang zu dem wirklich guten Zeug bekommt – zum Beispiel Kaffee oder echten Wein. Die im Roman genannten Beispiele sind so unspektakulär, dass man auch hier sofort wieder an die DDR denken muss, wo echter Bohnenkaffee auch nur durch verdammt gute Beziehungen zu bekommen war.

Neusprech und Gedankenkontrolle

Am Theaterstück gestört hat mich, das zu sehr der Eindruck vermittelt wurde, die Partei könnte wirklich jedem in den Kopf gucken. Das klingt mir zu sehr nach Science Fiction. Das eigentlich perfide am perfekten Staat von 1984 ist aber gerade, dass die Gedankenkontrolle eben nicht mittels High Tech aus der Zukunft geschieht, sondern durch permanente Propaganda einerseits und erbarmungslose Repression andererseits. Schon das kleinste Fehlverhalten wird geahndet. Protagonist Winston Smith weiß vom ersten Moment seiner Rebellion an, dass er unausweichlich sterben wird. Obwohl seine Auflehnung gegen den Big Brother zu diesem Zeitpunkt nur in seinem Kopf stattfindet. Er ahnt, dass sie dort nicht bleiben wird. Und da der Staat alles, wirklich alles überwacht, wird er früher oder später als Dissident enttarnt werden.

Natürlich will der Staat das Gefühl vermitteln, er könnte geradezu Gedanken lesen. Auch dazu dient der umfassende Überwachungsapparat. Jede Rebellion soll sich von Beginn an völlig aussichtslos anfühlen.

Die Gedankenkontrolle passiert trotzdem nicht direkt, die Partei ist nicht wirklich im Kopf der Menschen. Aber es fühlt sich so an. Propaganda macht es möglich. 

Und Neusprech macht es möglich. Eines der spannendsten Konzepte des Romans. Im Prinzip geht es darum, die Sprache immer weiter zu verstümmeln, bis niemand mehr in der Lage ist, einen oppositionellen Gedanken mehr zu denken, geschweigedenn zu äußern.

Verkauft wird die Sprachverstümmelung als Logik-Upgrade und effiziente, moderne Errungenschaft. Letzteres erinnert mich an eine Diskussion mit einer Feministin über den Sinn des Binnen-I, wo ich als Antwort auf die Frage, warum man denn stattdessen nicht einfach „Bürgerinnen und Bürger“ schreiben könnte, „das ist doch viel zu lang“ erhielt. 

Dass Politik Sprache und das Prägen bestimmter Formulierungen und Ausdrücke immer wieder als Hilfsmittel benutzt, ist topaktuell. Nicht nur, was das „Gendern“ betrifft. Der AFD-Kampfbegriff der „Altpartei“ ist längst erfolgreich im Mainstream etabliert worden. Obwohl er ganz offen der Herabwürdigung aller demokratischer Parteien dient und die AFD von allen anderen absetzen will. „Politisches Framing“ wurde im Zuge der Trump-Kampagne zu einem populären Begriff, um derartigen Missbrauch der Sprache zu erklären und ihre manipulative Macht wurde uns Normalbürgern erst da so richtig deutlich. Wer 1984 gelesen hat, hat das immer gewusst.

An Trump denkt man unweigerlich auch, wenn die Partei ganz direkt Unwahrheiten in die Hirne der Leute pflanzt. Das wird zum Extrem getrieben, als Winstons Gegenspieler O’Brien ihn dazu bringt, daran zu glauben, dass 2+2=5 wären, wobei es natürlich nicht genügt, nur so zu tun, als würde er das glauben, sondern erwartet, dass er das wirklich glaubt.

„Freedom is the freedom to say that two plus two make four. If that is granted, all else follows.“

– George Orwell: 1984 – Nineteen Eighty-Four

Was am Ende auch gelingt. Höllenqualen wirken sich eben irgendwann auch auf die Wahrnehmung eines Individuums aus. Der Perfektionismus des Staates ist hier auch der einzige Grund, aus dem man sich überhaupt so viel Mühe macht. Es besteht zu keinem Zeitpunkt ein Zweifel daran, dass Winston getötet wird aber der Staat betreibt trotzdem massiven Aufwand, um ihn vorher zum hundertprozentig angepassten Untertan umzuerziehen. Die Partei kontrolliert alles und muss diesem Anspruch selbst hier gerecht werden, statt Rebellen direkt zu erschießen.

Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft

Winston Smith wird fast verrückt vor Gewissensbissen und lauter Panik, dabei erwischt zu werden, dass er Tagebuch führt. Dank seines Jobs im Wahrheitsministerium weiß er natürlich noch besser, als viele andere, wie viel Wert die Partei auf die Kontrolle der Vergangenheit legt. 

Wie kann man die Vergangenheit kontrollieren? Indem man sämtliche Aufzeichnungen von ihr ständig an die aktuelle Doktrin anpasst. Deswegen war Ozeanien schon immer im Krieg mit Ostasien, auch wenn der Gegner bis Gestern doch noch Eurasien hieß. Wer diesen Schwenk nicht hinbekommt (im Roman nennt man das Doppeldenk), bekommt den Big Brother, die Partei, den alles durchdringenden Staat zum Feind. 

Und Big Brother war auf diese Weise natürlich schon immer an der Macht. Es war nie anders als heute. Trotzdem wird ab morgen alles besser – wenn alle brav mitziehen. Vielleicht wird dann ja sogar die Schokoladenration auf 20 Gramm erhöht. Mal wieder.

„Wenn Sie ein Bild von der Zukunft haben wollen, so stellen Sie sich einen Stiefel vor, der auf ein Gesicht tritt. Unaufhörlich.“ 

George Orwell: „1984 – Nineteen Eighty-Four“

Eine Partei, die schon immer an der Macht war, bleibt es auch in Zukunft. Die Leute kennen es nicht anders. Und Dank der Manipulation und Repression, dieser immerwährenden Gehirnwäsche, glauben sie wirklich, dass es immer so war und immer so sein wird. Rebellion? Wäre unter diesen Vorzeichen doch Wahnsinn und komplett aussichtslos. Wissen auch Winston und Julia, als sie die Rebellion wagen. Natürlich werden sie sterben.

Eine Opposition als Honey Pot

Im perfekten Staat wird natürlich auch die Opposition, die Rebellion vom Staat erzeugt und kontrolliert. In der Staatspropaganda, insbesondere während der Hasswoche, wird der angebliche Anführer der Rebellion, Emmanuel Goldstein (der jüdische Name dürfte in dem kurz nach dem 2. Weltkrieg erschienenen Roman kein Zufall sein) regelmäßig prominent hervorgehoben und seine Thesen präsentiert. Natürlich wird die offene Äußerung von Hass ihm gegenüber erwartet und jeder, der nicht völlig ausrastet vor Wut, wenn er ihn sieht, macht sich umgehend verdächtig.

Trotzdem ist offensichtlich, dass die Figur Emmanuel Goldstein auffällige Sonderrechte genießt. Denn die Partei kontrolliert alles, sie lässt missliebige Personen nicht nur physisch verschwinden, sondern radiert sie gleichzeitig auch aus allen Aufzeichnungen, bis hin zu Fotos aus. Wer zur Unperson wird, wird vaporisiert, wird so radikal, umfassend und nachhaltig ausgelöscht, als hätte es ihn nie gegeben. Auch das ist Teil der totalen Kontrolle der Partei.

Wenn ausgerechnet den angebliche Anführer der Rebellion, den angeblich größte Staatsfeind überhaupt dieses Schicksal eben ereilt, dann weil die Partei es so will.

O’Brien gibt sich zunächst als Anhänger der Rebellion aus, um Winston zu überführen. Man könnte meinen, er würde Winston dazu verleiten, sich dem Widerstand anzuschließen aber Winston weiß ja selbst, dass er im Grunde genommen schon viel zu weit gegangen ist, als er sich das Tagebuch gekauft hat, als er angefangen hat, sich gegen den Staat aufzulehnen. 

Trotzdem ist es O’Brien, der Winston Goldsteins Buch zukommen lässt und ihn hochoffiziell zum Mitglied der Rebellion macht. Und offensichtlich ist genau das schlicht und ergreifend der Job von O’Brien, die komplette Rebellion sehr wahrscheinlich eine Erfindung der Partei. Ein Honey Pot, um strauchelnde Genossen anzulocken und dann zu vernichten.

Perfekt organisiertes Kollektiv als Selbstzweck

Der beklemmende Antiindivudualismus, der sich durch das ganze Buch zieht, hat mich schon als Kind schockiert und misstrauisch gegenüber jeder Massenbewegung gemacht. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Der konsequent erzwungene Konformismus, der bis in jeden kleinen Winkel des Lebens der Untertanen dringt, der nichts dem Zufall überlassen will, der jedes kleinste Vergehen auf extreme Weise ahndet, rundet das Bild vom perfekt organisierten Kollektiv ab, das zum reinen so sinnlosen Selbstzweck degeneriert ist. Schon der eigentlich absurde Begriff des Denkverbrechens zeigt, wie pervers weit der Staat vordringt und wie umfassend sein Kontrollwahn letztendlich ist.

Die Parallelen zu diversen Gebilden der Geschichte, aber auch zu Strömungen der Gegenwart sind erdrückend. Du bist nichts, Dein Volk ist alles. Ich sehe keine Parteien mehr, nur noch Deutsche. Die Überhöhung des Kollektivs hat seine traurige Tradition.

Aber auch die Ausgrenzung von Minderheiten. Wer den Klimawandel leugnet, gehört depubliziert. Todesstrafe für Kinderschänder. Raucher bringen Nichtraucher um. Steuerhinterzieher, Sozialhilfeempfänger, Drogensüchtige. Es gibt wirklich haufenweise Gruppen und Grüppchen, bei denen eine große Masse sich absolut einig sind, dass die kein vollwertiger Teil mehr des Kollektivs sein sollten. Womit ich gar nicht sagen will, dass das Verhalten jedes Sonderlings automatisch gefeiert und bewundert gehört. Wünschenswert wäre aber ein souveräner Umgang damit, anstelle eines oft einfach nur hysterisch kollektivistischem.

Jedes Mal, wenn ich irgendwo lese, dass die Bürger sich weniger Streit und dafür mehr konstruktive, harmonische Beschlüsse von der Politik wünschen, überkommt mich kaltes Grausen und ich muss an 1984 denken, wo alles zum Schreien harmonisch ist und jede noch so kleine Disharmonie nicht einfach nur beseitigt wird, sondern am Ende nicht mal existiert hat.

Was mich an 1984 nicht loslässt

Und genau das ist es, was mich an 1984 immer gepackt hat: Hier wird in brutaler Perfektion beschrieben, wo enden kann, was wir allenthalben erleben. 1984 beschreibt die letzte Konsequenz, eben den perfekten Staat. 

Die Lehre daraus sollte nicht sein, dass es soweit um Himmels Willen nie kommen darf. Sie sollte lauten: Wehret den Anfängen.

Denn während es relativ unwahrscheinlich ist, dass es jemals irgendwo auf der Welt einen dermaßen perfekten Staat geben könnte, ist doch schon die teilweise Umsetzung fürchterlich genug, sind vor allem aber die dahinter stehenden Motive am Ende die gleichen, wie sie auch das Ozeanien aus 1984 irgendwann mal hervorgebracht haben werden.

Selbst das diesem Staat vermutlich grauenhaft nahekommende Nordkorea der Gegenwart ist schon noch ein gutes Stück von solcher Perfektion entfernt – und doch brutal genug, um es als menschenunwürdig und abgrundtief falsch abzulehnen.

Der perfekte Staat aus 1984 ist die Hölle. Aber auch die Hälfte davon, ob wir da nun die DDR oder das Dritte Reich als Beispiel für definieren, ist, bzw. war bereits die Hölle.

Jeder Bruchteil eines solchen perfekten Staates steht eigentlich schon allem entgegen, woran ich glaube, was für mich einen guten Staat mit einer freien und offenen Gesellschaft ausmacht, vollständig entgegen. 

Deswegen reagiere ich sehr allergisch auf Sprachmanipulationen wie durch das Gendern. Deswegen empfinde ich jedes noch so kleine Bisschen Sozialismus als ultimative Bedrohung. Deswegen verachte ich Personenkulte in der Politik. Deswegen werde ich rasend schnell dünnhäutig, wenn Diktaturen der Vergangenheit mit „es war ja nicht alles schlecht“-Gesängen und „Ostalgie“ relativiert werden. Deswegen heißt die „Die Linke“ für mich nach wie vor SED. Deswegen lasse ich aktuellen AFD-Anhängern ihre abenteuerlichen Begründungen, sie sähen in der AFD einfach nur jemanden, der möglichst radikal irgendwas ändern will, nicht durchgehen. Deswegen interessiert mich überhaupt Netzpolitik und deswegen verzeihe ich den Grünen ihre Zustimmung zum Überwachungsstaat nach 9/11 niemals.

So ein „Wehret den Anfängen“ konsequent durchzuziehen, ist nicht einfach und erfordert ein gewisses, durchaus radikales Fundament. Dieses wurde bei mir wahrscheinlich zu einem erheblichen Teil durch „1984“ gelegt.